Leitsatz
Der Darlehensnehmer eines Verbraucherdarlehensvertrags ist gemäß §§ 767 Abs. 2, 796 Abs. 2 ZPO mit seinem nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 und 2 BGB in der bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung bestehenden Widerrufsrecht ausgeschlossen, wenn die Bank nach Kündigung des Darlehensvertrages ihren Rückzahlungsanspruch in einem mit dem Einspruch nicht mehr anfechtbaren Vollstreckungsbescheid tituliert hat.
BGH, Beschl. v. 3.3.2020 – XI ZR 486/17
1 I. Der Fall kurz und bündig
Vollstreckungsabwehrklage gegen Vollstreckungsbescheid
Die Klägerin wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung der Beklagten aus einem Vollstreckungsbescheid über eine Forderung aus einem Darlehensvertrag.
Die Klägerin und ihr Ehemann schlossen mit der Beklagten 2003 einen Darlehensvertrag. Das Darlehen diente der Finanzierung einer Blockheizkraftwerk-Anlage sowie der Ablösung von zwei ebenfalls der Klägerin und ihrem Ehemann gewährten Darlehen. Bei Vertragsschluss belehrte die Beklagte die Darlehensnehmer unter Verwendung eines Formulars, das Formulierungen enthält, die der BGH 2016 (XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 ff.) beanstandet hat.
Kündigung der Beklagten, Titulierung und Widerruf der Klägerin
2007 kündigte die Beklagte den Darlehensvertrag wegen Zahlungsverzugs und erwirkte gegen die Klägerin 2010 einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 107.342,06 EUR. Mit anwaltlichem Schreiben widerrief die Klägerin 2015 ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags von 2003 gerichtete Willenserklärung.
LG und OLG folgen dem Widerruf
Das Begehren der Klägerin, die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid von 2010 für unzulässig zu erklären sowie die Beklagte zur Herausgabe des Vollstreckungsbescheids zu verurteilen, haben LG und OLG anerkannt. Deswegen hat die beklagte Bank den BGH angerufen.
2 II. Aus der Entscheidung
Titulierung als entscheidende Zäsur
Der BGH widerspricht den Vorinstanzen und entscheidet zugunsten der Bank als Gläubiger. Die Titulierung stellt im Ergebnis eine Zäsur dar, die die Option des Widerrufes des Grundgeschäftes entzieht.
Es war einmal ein Darlehnsanspruch und ein Widerrufsrecht
Die Klägerin schloss den Darlehensvertrag als Verbraucherin, so dass ihr gemäß § 495 Abs. 1 BGB das Recht zukam, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der nach Art. 229 §§ 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 22 Abs. 2, 32, 38 Abs. 1 S. 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1.8.2002 und dem 10.6.2010 geltenden Fassung (künftig: a.F.) zu widerrufen (vgl. BGHZ 212, 207 Rn 15). Dieses Recht stand ihr auch insoweit zu, als das OLG die Klägerin neben ihrem Ehemann nicht als echte Mitdarlehensnehmerin, sondern lediglich als Mithaftende eingestuft hat (vgl. BGHZ 133, 71, 74 f.; BGH WM 1997, 710). Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des OLG, die der Klägerin erteilte Widerrufsbelehrung informierte mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (vgl. BGHZ 211, 123 Rn 18), so dass der Klägerin zunächst ein Widerrufsrecht zustand, das sie nach Ablauf der gesetzlichen Widerrufsfrist grundsätzlich noch wirksam ausüben konnte.
Aber die Präklusion der Titulierung darf nicht übersehen werden
Rechtsfehlerhaft hat das OLG aber angenommen, die Geltendmachung des Widerrufsrechts der Klägerin sei nicht nach § 767 Abs. 2, § 796 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.
Die Ausübung des Widerrufsrechts ist nach § 767 Abs. 2, § 796 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil die Klägerin den Widerruf am 25.1.2015 und damit erst nach Ablauf der gemäß §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO bestehenden zweiwöchigen Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid vom 2.9.2010 erklärt hat, obwohl sie die Möglichkeit und Befugnis hatte, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung vor Ablauf der Einspruchsfrist zu widerrufen.
Präklusion gilt auch beim VB
Nach § 767 Abs. 2 ZPO können Einwendungen gegen einen durch Urteil festgestellten Anspruch nur dann mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden, wenn die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind, in der Einwendungen hätten geltend gemacht werden müssen. Diese Regelung gilt gemäß §§ 795 S. 1, 794 Nr. 4 ZPO auch für in Vollstreckungsbescheiden festgestellte Ansprüche mit der Maßgabe, dass die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, nach Zustellung des Vollstreckungsbescheides entstanden sein müssen und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können (§ 796 Abs. 2 ZPO).
Was gilt bei Gestaltungsrechten?
Bei Gestaltungsrechten ist zur Beantwortung der Frage, ob deren Ausübung nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist, nicht der Zeitpunkt der Gestaltungserklärung des Berechtigten maßgebend, sondern es ist auf den Zeitpunkt ihres Entstehens und der Befugnis zu ihrer Ausübung abzustellen (BGHZ 157, 47, 52; BGH NJW-RR 2006, 229 Rn 14; BGHZ 201, 121 Rn 17; BGHZ 220, 78 Rn 29). Dies gilt auch für das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 und 2 BGB a.F.