Primäre und sekundäre Darlegungs- und Beweislast richtig gesehen
Das LG wählt zunächst den prozessual richtigen Ausgangspunkt. § 850c Abs. 6 ZPO begründete eine dem Gläubiger günstige Rechtsfolge, nämlich die Nichtberücksichtigung einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person bei der Bestimmung des Pfändungsfreibetrages. Damit trägt der Gläubiger nach den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen, nämlich das eigene Einkommen der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person.
Allerdings sind die Erkenntnisquellen des Gläubigers beschränkt. Er hat in der Regel keine positive Kenntnis von dem Einkommen der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person. Insoweit sind dann die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast heranzuziehen.
Hinweis
Eine sekundäre Darlegungslast kann den Gegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (st. Rspr., vgl. nur BGH v. 11.8.2022 – VII ZR 499/21 Rn 17, juris).
Hinreichende Anknüpfungspunkte für eigenes Einkommen liegen vor
Notwendig ist vor diesem Hintergrund allein, dass der darlegungspflichte Gläubiger hinreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass die gesetzlich unterhaltsberechtigte Person überhaupt über eigenes Einkommen verfügen kann. Dies war hier aufgrund der Steuerklasse der Schuldnerin (Klasse I statt Klasse II) und des nur hälftigen Kinderfreibetrages der Fall. Daraus konnte nämlich geschlossen werden, dass auch der Kindesvater über eigenes Einkommen verfügt, insoweit den anderen hälftigen Kinderfreibetrag in Anspruch nimmt und deshalb auch entweder Barunterhalt zahlt oder Naturalunterhalt leistet. Gleiches würde etwa gelten, wenn die Schuldnerin die Lohnsteuerklasse IV oder V hätte, da sich daraus ergibt, dass der nichtschuldende Ehegatte ein zumindest gleich hohes (Lohnsteuerklasse IV zu IV) oder sogar höheres Einkommen (Lohnsteuerklasse III zu V) hat.
Nicht überzeugend: die Berechnung
Nicht überzeugen kann das Urteil des LG allerdings in der Berechnung der teilweisen Nichtberücksichtigung des Kindes der Schuldnerin. Zu fragen ist insoweit nämlich, von welchem Unterhaltsbedarf auszugehen ist. Dabei wird bei minderjährigen Kindern im Haushalt des Schuldners regelmäßig von einem auch hier als angemessen erachteten Betrag von 500 EUR ausgegangen. Dieser Betrag liegt deutlich über dem Hartz-IV-Satz für Kinder von 185 bis 376 EUR.
Ausgehend hiervon ist dann festzustellen, ob der nichtschuldende Elternteil den hälftigen Anteil von 250 EUR tragen kann, ohne seinen eigenen Unterhalt zu gefährden. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn ein 250 EUR übersteigender Barunterhalt oder – wie im Fall des LG aufgrund der Teilung des Kinderfreibetrages anzunehmen – ein hälftiger Naturalunterhalt geleistet wird. In diesem Fall ist das Kind sodann zur Hälfte nicht zu berücksichtigen. Die unterschiedliche Unterhaltsverpflichtung aufgrund abweichender Einkommens- oder Vermögensverhältnisse greift im Übrigen erst bei Mangelfällen, für die hier keine Anhaltspunkte bestanden.
FoVo 12/2022, S. 235 - 238