I. Das Problem
Zwangsvollstreckung in den Arbeitslohn mit mäßigem Erfolg
Wir haben eine Forderung gegen Eheleute als Gesamtschuldner rechtskräftig tituliert. Die Zwangsvollstreckung gegen den Ehemann verlief 2018/2019 fruchtlos. Er war selbstständig und verfügt aktuell über kein Einkommen. Er wird finanziell von seiner Ehefrau unterstützt. Die Zwangsvollstreckung gegen die Ehefrau verlief 2019 ebenfalls fruchtlos. Allerdings konnten wir deren Arbeitgeber ermitteln.
Wir haben dann den Arbeitslohn gepfändet, wobei die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 30.10.2019 erfolgte. Der Drittschuldner hat am 7.11.2019 einen monatlichen Nettolohn von 1.838 EUR bei zwei gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen (ein Kind, ein Ehemann) und Steuerklasse III mitgeteilt. Im Jahr 2020 haben wir das Kind als unberücksichtigt herausrechnen lassen, sodass nur noch eine unterhaltsberechtigte Person (Ehemann) bei weiterhin der Steuerklasse III verblieb. Wir erhalten seither vom Arbeitgeber geringe pfändbare Beträge ausbezahlt.
Nun wollten wir wieder gegen den Ehemann vorgehen und mussten in diesem Zusammenhang erfahren, dass der Ehemann bereits am 3.4.2023 verstorben ist.
Änderungen der Verhältnisse bleiben unbekannt
Wir erhalten somit seit 4.4.2023 falsch errechnete (zu gering) ausbezahlte pfändbare Beträge, da ja ab diesem Zeitpunkt der Ehemann nicht mehr als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen war. Zugleich hätte auch ein Steuerklassenwechsel stattfinden müssen. Angeblich hat die Ehefrau den Tod ihres Mannes aber weder dem Arbeitgeber noch dem Finanzamt mitgeteilt. Der Arbeitgeber weigert sich nun, die Differenz zu den höheren pfändbaren Beträgen auszugleichen, und beruft sich darauf, gutgläubig gewesen zu sein. Der Lohnsteuerklassenwechsel sei erst in 11/2024 erfolgt. Er verweist auf die Schuldnerin. Wir mögen uns an diese halten.
Wer muss dafür einstehen?
Wer haftet nun tatsächlich in diesem Fall? Es ist doch die Hauptaufgabe eines Arbeitgebers, den – richtigen – pfändbaren Betrag zu ermitteln. Wenn man dem Arbeitgeber glaubt, liegt allerdings der Fehler nicht bei ihm, sondern bei der Schuldnerin. Haftet der Arbeitgeber auch in diesem Fall? Können wir aus dem Umstand, dass die Ehefrau die Tatsachen verschwiegen hat, etwas herleiten?
II. Die Lösung
Der Nachteil des Gläubigers
Nach § 850c Abs. 2 ZPO erhöht sich der Pfändungsfreibetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO für die erste unterhaltsberechtigte Person um den in der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ausgewiesenen Betrag. Das waren für die Zeit vom 1.7.2022 bis zum 30.6.2023 zunächst 500,62 EUR, für die Zeit vom 1.7.2023 bis zum 30.6.2024 dann 527,76 EUR und seit dem 1.7.2024 aktuell 560,90 EUR. Hinzu kommt, dass der überschießende Betrag in Höhe von 3/10 für den Schuldner und weiteren 2/20 für die erste gesetzlich unterhaltsberechtigte Person pfändungsfrei bleibt. Aufgrund des Sterbefalls ist diese Privilegierung also ab April 2023 zu Unrecht gewährt und in Anspruch genommen worden.
Hieraus folgt, dass bei einem durchgängigen Nettoeinkommen von 1.838 EUR sich
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von April 2023 bis Juni 2023 bei keiner unterhaltsberechtigten Person ein pfändbarer Betrag von 349,89 EUR statt bei einer berücksichtigten gesetzlich unterhaltsberechtigten Person von 0 EUR ergeben hätte, was zu einer monatlichen Differenz zulasten des Gläubigers von 349,89 EUR geführt haben müsste; |
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von Juli 2023 bis Juni 2024 bei keiner unterhaltsberechtigten Person ein pfändbarer Betrag von 299,40 EUR statt bei einer berücksichtigten gesetzlich unterhaltsberechtigten Person von 0 EUR ergeben hätte, was zu einer monatlichen Differenz zulasten des Gläubigers von 299,40 EUR geführt haben müsste; |
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seit Juli 2024 bis November 2024 bei keiner unterhaltsberechtigten Person ein pfändbarer Betrag von 236,78 EUR statt bei einer berücksichtigten gesetzlich unterhaltsberechtigten Person von 0 EUR ergeben hätte, was zu einer monatlichen Differenz zulasten des Gläubigers von 236,78 EUR geführt haben müsste. |
Hinweis
Bei richtiger Angabe des Nettoeinkommens hätte der Drittschuldner eigentlich über den gesamten Zeitraum überhaupt keine pfändbaren Beträge abführen dürfen. Da gleichwohl "geringe Beträge" gezahlt wurden, muss der Drittschuldner auch unzutreffend gerechnet haben. Es kann deshalb sinnvoll sein, die Lohnabrechnungen für diesen Zeitraum herauszuverlangen (BGH v. 19.12.2012 – VII ZB 50/11, FoVo 2013, 56) und noch einmal genau nachzurechnen. Es wäre im Übrigen auch ungewöhnlich, wenn sich in diesem Zeitraum nicht auch der Nettolohn verändert hätte.
Die Berechnung des unpfändbaren und des pfändbaren Arbeitseinkommens
Welche Einkünfte unter das Arbeitseinkommen fallen, ergibt sich aus § 850 ZPO. Danach hat dann der Arbeitgeber als Drittschuldner nach Maßgabe des § 850e Nr. 1 ZPO das Nettoeinkommen des Schuldners als Grundlage der Bestimmung des Pfändungsfreibetrags nach § 850c ZPO zu ermitteln (Riedel, in: BeckOK-ZPO, 54. Ed., 1.9.2024, § 850e Rn 1). Es obliegt also weder dem Gläubiger noch – auf der Grundlage eines Blankettbeschlusses ...