Leitsatz
Die Vorpfändung eines Steuererstattungsanspruchs ist mit der vom Gerichtsvollzieher bewirkten Zustellung des die Vorpfändung enthaltenden Schreibens im Sinne des § 46 Abs. 6 AO "erlassen". Auf den Zeitpunkt, zu dem das Schreiben dem Gerichtsvollzieher übergeben worden ist, kommt es nicht an.
BGH, 10.11.2011 – VII ZB 55/10
1 I. Der Fall
Auftrag zur Vorpfändung vor dem Jahreswechsel
Die Gläubigerin betreibt aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner wegen eines Teilbetrags von 500.000 EUR nebst Zinsen und Kosten. Am 2.1.2007 um 07.45 Uhr stellte der GV dem Drittschuldner, einem Finanzamt, im Wege der Vorpfändung ein vorläufiges Zahlungsverbot der Gläubigerin zu. Damit kündigte die Gläubigerin an, dass die Pfändung der Ansprüche des Schuldners auf Zahlung des Lohnsteuerjahresausgleichs, insbesondere von Lohn- und Kirchensteuer sowie auf Erstattung von Einkommen-, Kirchen- und Vermögensteuer bevorstehe. Das das vorläufige Zahlungsverbot enthaltende Schreiben hatte die Gläubigerin auf den 2.1.2007 vordatiert und dem GV bereits am 27.12.2006 übergeben.
Reaktion des Schuldners zu langsam?
Ebenfalls am 2.1.2007, jedoch nach Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots, zeigte der Schuldner dem Drittschuldner an, dass er seinen Erstattungsanspruch an eine Frau R. abgetreten habe. Am 23.1.2007 erwirkte die Gläubigerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB), mit dem die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner auf Erstattung der im vorläufigen Zahlungsverbot aufgeführten Steuern gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden. Die dagegen eingelegte Erinnerung und nachfolgende sofortige Beschwerde des Schuldners, mit der er die Unwirksamkeit der Vorpfändung geltend machte, hatte keinen Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Das Problem: Keine Maßnahme vor Anspruchsentstehung
Gemäß § 46 Abs. 6 AO darf ein PfÜB nicht erlassen werden, bevor der zu pfändende Steuererstattungsanspruch entstanden ist. Ein entgegen diesem Verbot erwirkter PfÜB ist nichtig (§ 46 Abs. 6 Satz 2 AO). Entstanden und pfändbar ist der Erstattungsanspruch aus einem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer; Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr (§ 25 Abs. 1 EStG). Entsprechendes gilt für die Kirchensteuer (Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn 391) und auch für die Vermögensteuer, § 20 Vermögensteuergesetz. Die entsprechenden Steuererstattungsansprüche entstehen dementsprechend mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums (BFH, BFHE 161, 412; OLG Koblenz ZVI 2004, 614).
§ 46 AO gilt auch für die Vorpfändung
Das LG geht zutreffend davon aus, dass auf Vorpfändungen von Steuererstattungsansprüchen § 46 Abs. 6 AO entsprechend anwendbar ist (Stöber, Forderungspfändung, a.a.O., Rn 371; MüKoZPO/Smid, 3. Aufl., § 829 Rn 15; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 829 Rn 9). Denn die Vorpfändung wirkt wie eine Beschlagnahme der betroffenen Forderung (BGH NJW 1983, 1738) und begründet den Rang des Pfändungspfandrechts, das durch eine Pfändung innerhalb eines Monats seit Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots entsteht (§ 845 Abs. 2 i.V.m. §§ 804, 930 Abs. 1 ZPO; BGH NJW 2001, 2976). Sie muss daher für ihre Wirksamkeit die gleichen Anforderungen erfüllen wie der PfÜB.
Wann ist eine Vorpfändung "erlassen"?
Es kommt danach darauf an, ob die Vorpfändung im Sinne des § 46 Abs. 6 AO erst im Jahre 2007 "erlassen" worden ist. Mit zutreffenden Erwägungen und in Übereinstimmung mit der Literatur (vgl. Stöber, Forderungspfändung, a.a.O., Rn 371; Stein/Jonas/Brehm, a.a.O., § 829 Rn 9; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 829 Rn 28; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 845 Rn 2; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 46 AO Rn 114) hat das LG auf den Zeitpunkt der Zustellung durch den GV am 2.1.2007 abgestellt. Dabei hat es richtig hervorgehoben, dass bei gerichtlichen Pfändungsbeschlüssen nicht der Zeitpunkt der Zustellung maßgebend ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der unterschriebene Beschluss aus dem internen Geschäftsgang des Gerichts herausgelangt ist, das Gericht sich also des Beschlusses entäußert hat (BGH NJW 2005, 3724). Entsprechendes gilt bei behördlichen Pfändungsverfügungen (BFH DGVZ 1991, 54). Es hat auch richtig gesehen, dass einer Vorpfändung keine derartige hoheitliche Maßnahme vorausgeht, so dass insoweit kein geeigneter Anknüpfungspunkt besteht. Vielmehr muss bei der entsprechenden Anwendung des § 46 Abs. 6 AO auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem die Vorpfändung hoheitliche Wirkung entfaltet. Das ist der Zeitpunkt der Zustellung an den Drittschuldner, weil in diesem Augenblick die Wirkung der Beschlagnahme eintritt.
Maßgeblich ist Zustellung, nicht Übergabe
Der Schuldner meint, der richtige Zeitpunkt sei die Übergabe des Vorpfändungsschreibens durch den Gläubiger an den GV. Dem kann nicht gefolgt werden, weil diese Übergabe ...