Leitsatz
Der Gerichtsvollzieher (GV) hat durch zumutbare Maßnahmen den Aufenthaltsort des Schuldners zu ermitteln, sofern dessen Wohnsitz in einem Mehrparteienhaus gemeldet ist und sich vor Ort kein entsprechender Name an Briefkasten oder Klingelschild befindet.
AG Bremen, 11.6.2014 – 243 M 430663/14
1 I. Der Fall
Sachpfändungsauftrag: SU nicht am Meldeort
Der Gläubiger beauftragte den GV u.a. mit der Durchführung der Sachpfändung gemäß § 808 ZPO und bezeichnete hierbei die ladungsfähige Anschrift des Schuldners. Der GV versuchte, gegenüber dem Schuldner die Zwangsvollstreckung zum 27.11.2013 anzukündigen. Dieses Schreiben konnte der GV beim Schuldner nicht zustellen. Die Zustellungsurkunde wurde – offenbar von diesem persönlich – durchgestrichen. Anschließend ersuchte der GV die Zentrale Meldebehörde um Auskunft hinsichtlich des aktuellen Aufenthaltsorts des Schuldners, worauf er die Information erhielt, dass der Schuldner unter der vom Gläubiger bezeichneten Anschrift – als alleiniger Wohnsitz – weiterhin gemeldet sei. Es handelt sich bei der bezeichneten Adresse um ein Mehrparteienhaus.
GV ergreift keine weiteren Maßnahmen
Weitere Maßnahmen zur Ausführung des Vollstreckungsauftrags unterblieben. Mit Schreiben vom 29.4.2014 teilte der Gerichtsvollzieher mit, dass der Schuldner vor Ort nicht zu ermitteln gewesen sei; weder an der Klingelleiste noch an den Briefkästen habe sich ein Namensschild befunden. Hausbewohner seien nicht angetroffen worden. Einem vor Ort anwesenden Postzusteller sei der Schuldner nicht bekannt gewesen. Der GV betrachtete den Auftrag als erfolglos erledigt. Hiergegen wendet sich der Gläubiger und begehrt weitere Ermittlungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers.
2 II. Die Entscheidung
Erinnerung ist erfolgreich
Der Gläubiger hat Vollstreckungsauftrag erteilt und seinen Auftrag nicht auf die Aufenthaltsermittlung beschränkt. Der GV durfte die Zwangsvollstreckung mit der Begründung des unbekannten Aufenthalts des Schuldners nicht ohne Weiteres einstellen.
Anforderungen an GV
Bei einem Mehrfamilienhaus trifft den GV die Pflicht zur Erkundung, ob der unter der Anschrift offiziell gemeldete Schuldner in dem Haus tatsächlich wohnhaft ist; der GV hat insbesondere durch Befragung des Vermieters oder Hauswirts zu ermitteln, ob der Schuldner verzogen ist oder das Mietverhältnis andauert; gegebenenfalls sind Nachbarn zu befragen (AG Tettnang DGVZ 2010, 19; AG Hannover DGVZ 1977, 26).
Nicht "unbekannt verzogen"
Zwar wird vertreten, dass der Vollstreckungsauftrag mit der Feststellung, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei, durchgeführt worden sei (vgl. AG Leipzig DGVZ 2004, 46). Eine derartige Feststellung vermochte der GV jedoch nicht zweifelsfrei zu treffen. Denn es wurde gerade nicht positiv ermittelt, dass unter der weiterhin aktuellen Schuldneranschrift ein neuer Mieter lebte.
Kein Detektiv, aber fragen kann man …
Zwar kann von einem GV angesichts des erheblichen Arbeitsaufwands nicht verlangt werden, detektivisch tätig zu werden; offenkundigen Anhaltspunkten und mühelos feststellbaren Äußerlichkeiten ist jedoch nachzugehen. Aufgrund der Einführung des § 755 ZPO n.F. besteht eine erweiterte Verpflichtung zur Aufenthaltsermittlung. Zwar formuliert § 755 ZPO Rechte des GV ("darf"); hiermit korrespondieren jedoch entsprechende Pflichten im Sinne einer pflichtgemäßen Ermessenausübung. Wenn der GV nunmehr ermächtigt bzw. verpflichtet sein kann, die aktuelle Schuldneranschrift über bestimmte Behörden ermitteln zu lassen, so ist er erst recht berechtigt bzw. verpflichtet, die offiziell gültige Meldeadresse selbst zu überprüfen; Gründe des Datenschutzes stehen dem nicht entgegen.
Schuldner darf sich nicht entziehen
Andernfalls bestünde das Risiko, dass sich jeder Schuldner denkbar einfach der Zwangsvollstreckung entziehen könnte: Er müsste lediglich seinen Namen vom Klingelschild und Briefkasten entfernen oder durch einen Alias-Namen (Müller, Meyer, Schulze) ersetzen. Im Gegensatz zum GV verfügt der Gläubiger über keine staatliche Autorität; Dritte sind dem Gläubiger nicht auskunftspflichtig. Daher kann es nicht Aufgabe des – oftmals auswärtigen – Gläubigers sein, die Meldeanschrift zu überprüfen. Außerdem ist dem GV die Person des jeweiligen Hauseigentümers/Vermieters oftmals bekannt.
Einer weiß was
Angesichts des Mietnotstands erscheint es unwahrscheinlich, dass die Schuldnerwohnung leer steht; möglicherweise wird ein etwaiger Nachmieter Kenntnis vom Verbleib des Schuldners haben, sollte dieser – wie vom GV vermutet – tatsächlich verzogen sein. In diesem Fall dürfte der Vermieter wegen des Kautionsrückzahlungsanspruchs des Schuldners (mit neuer Absenderadresse) kontaktiert worden sein oder demnächst kontaktiert werden. Dem ist nachzugehen.
3 Der Praxistipp
GV als Dienstleister
In Fällen wie dem vom AG Bremen entschiedenen zeigt sich die Ineffektivität der Ermittlungen des GV. Naheliegende Überlegungen werden nicht angestellt, vor allem wird der Auftrag nicht im verfassungsrechtlich geschützten Befriedigungsinteresse des Gläubigers betrieben, sondern nur in einem schnellen (Nicht...