BGH sieht keinen Herausgabeanspruch mehr

Die Vollstreckungsgegenklage der Schuldnerin nach § 767 Abs. 1 ZPO ist begründet. Mit Recht hat diese geltend gemacht, dass die Vollstreckung aus Nummer 1 der Urteilsformel unzulässig ist. Denn sie ist berechtigt, Einwendungen gegen den im Urteil festgestellten Herausgabeanspruch zu erheben, weil diese erst nach Rechtskraft des Berufungsurteils im Vorprozess, mithin nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften der ZPO spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können (§ 767 Abs. 2 ZPO). Der Anspruch des Beklagten auf Herausgabe des Chorarchivs aus § 985 BGB ist nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen, nachdem die der Klägerin nach § 255 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist abgelaufen war, ohne dass sie das Archiv an den Beklagten herausgegeben hat, und der Beklagte ausweislich des Vollstreckungstitels für den Fall des erfolglosen Fristablaufs schon mit der Antragstellung von der Klägerin Schadensersatz verlangt hat. Dies ergibt sich aus dem Titel des Vorprozesses, aus dem der Beklagte vollstreckt, in Verbindung mit seiner Antragstellung im damaligen Rechtsstreit.

Klagehäufung: Herausgabe und Schadensersatz

Der Eigentümer einer Sache kann unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 und 2 BGB Schadensersatz verlangen, wenn der bösgläubige oder verklagte Besitzer seine Herausgabepflicht nach § 985 BGB nicht erfüllt (BGHZ 209, 270 Rn 16). Weiterhin muss er nicht in zwei aufeinander folgenden Prozessen zunächst den Herausgabe- und sodann den Schadensersatzanspruch geltend machen, sondern er kann im Wege der Klagehäufung nach § 260 ZPO seine Klage auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der von dem Gericht zur Erfüllung des Herausgabeanspruchs gesetzten Frist (§ 255 Abs. 1 ZPO) unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO bereits zusammen mit der Herausgabeklage erheben (BGH, Urt. v. 18.3.2016, a.a.O. Rn 23).

Kein automatischer Verlust des Herausgabeanspruchs

Im Unterschied zur alten Rechtslage ist ein auf den Primäranspruch lautendes rechtskräftiges Urteil nicht mehr nötig, um Schadensersatz statt der Leistung zu erhalten. Es genügt, dass der Gläubiger dem Schuldner – unter den Voraussetzungen der §§ 280, 281 BGB – erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Auch entfällt der Anspruch des Gläubigers/Eigentümers auf die (Primär-) Leistung nach § 281 Abs. 4 BGB nicht mit fruchtlosem Ablauf der Nachfrist (Staudinger/Schwarze, BGB, 2014, § 281 Rn A 14, D 1). Vielmehr erhält der Gläubiger mit dem Eintritt der Voraussetzungen gemäß § 281 Abs. 1 bis 3 BGB lediglich die Befugnis, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Er hat nach Fristablauf die Wahl, vom Schuldner entweder die Primärleistung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen (BGH NJW 2006, 1198 Rn 17: "sog. elektive Konkurrenz"; vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 116; Gruber/Lösche, NJW 2007, 2815, 2817). Erst mit der Erklärung des Schadensersatzverlangens ist der Anspruch auf die Primärleistung nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen.

Aber der Gläubiger muss dafür etwas tun

Der Gläubiger kann sich das Wahlrecht erhalten, auch wenn er seine Herausgabeklage mit der Klage auf Schadensersatz statt der Leistung verbindet.

Wenn der Gläubiger Leistungs- und Schadensersatzklage verbindet, ist der Schadensersatzantrag einmal dadurch bedingt, dass der Gläubiger mit seinem Herausgabeantrag Erfolg hat, und weiter dadurch, dass der Schuldner den Gegenstand nicht innerhalb der richterlich gesetzten Frist herausgibt (vgl. MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 255 Rn 13). In der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob die Verurteilung zum Schadensersatz zusätzlich davon abhängig gemacht werden kann, dass der Gläubiger den Schadensersatzanspruch künftig erst geltend macht (für die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung BeckOK-ZPO/Bacher, 2017, § 255 Rn 13; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 14. Aufl., § 255 Rn 5; Gsell, JZ 2004, 110, 116; Gruber/Lösche, NJW 2007, 2815, 2819; ablehnend Schur, NJW 2002, 2518, 2520).

Interessengerecht: Wahlrecht des Gläubigers

Diese Frage ist zu bejahen. Durch die Zulassung eines solchen prozessualen Vorgehens wird die in §§ 280, 281 BGB enthaltene materielle Rechtslage in das Vollstreckungsverfahren übertragen. Es wird gewährleistet, dass der Gläubiger auch in der Vollstreckung auf seinem materiellen Recht auf Primärleistung bestehen kann, ohne deswegen den Schadensersatzprozess in eine ungewisse Zukunft verschieben zu müssen. Es ist nicht einzusehen, dass ein Gläubiger, der nach Ablauf der dem Schuldner gesetzten Frist materiell-rechtlich die Wahl hat, ob er vom Schuldner die Erfüllung des Primäranspruchs oder Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB verlangt, sich dieser Wahlmöglichkeit begeben muss, wenn er in einem Rechtsstreit sowohl die Primärleistung als auch Schadensersatz stat...

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