Entscheidung
Die Bedeutung der Entscheidung des BGH geht über den Einzelfall hinaus und vermittelt wesentliche allgemeine Erkenntnisse zur Bestimmung von Gebühren eines Rechtsdienstleisters innerhalb von Gebührenrahmen. So dürften die Erwägungen des BGH etwa auch auf die Anwendung von § 14 RVG für die Bemessung der Höhe der Geschäftsgebühr heranzuziehen sein.
Die "Mitte" bestimmen
Innerhalb eines vorgegebenen Rahmens ist zunächst die richtige Mitte zu bestimmen, von der ausgehend Zu- und Abschläge zu machen sind. Der BGH sucht hier den Durchschnitt, der notwendigerweise abstrakt zu bestimmen ist, weil er eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelsituationen abbildet. Die Korrektur dieses abstrakten Bildes erfolgt durch die spätere Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalles. Bei der Bestimmung der durchschnitt lichen Vergütung ist auch die gesetzgeberische Grundentscheidung zu beachten. So spricht vieles dafür, den Durchschnitt in der Mitte des vorgegebenen Rahmens zu suchen. Auch dies kann der Gesetzgeber korrigierend steuern. Das lässt sich nicht nur anhand der vom BGH entschiedenen Konstellation begründen, sondern sehr gut auch an Nr. 2300 VV RVG i.V.m. § 14 RVG. Der Gesetzgeber hat den Rahmen einer 0,5- bis 2,5-Geschäftsgebühr eröffnet. Die natürliche Mitte liegt bei einer 1,5-Gebühr. Diese hat der Gesetzgeber aber nach unten abgeschwächt, weil er eine Mehrzahl "einfacher Fälle" sieht. So erklärt sich die 1,3-Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG.
Abweichung bedarf der besonderen Begründung im Einzelfall
Eine weitere Erkenntnis der Entscheidung des BGH ist die Feststellung, dass von dem Regelfall nur ausnahmsweise abzuweichen ist und es einer besonderen Begründung bedarf, die erhebliche Gesichtspunkte ins Feld führen kann. Die Ausnahme muss sich also im Einzelfall darstellen. Es obliegt dem Gesetzgeber, den Durchschnitt, die Mitte zu bestimmen. Es sind dann die konkreten Umstände eines Einzelfalles, die eine Abweichung begründen können. Das schließt es aus, dass abstrakt-generell – etwa mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts – der Versuch unternommen wird, den Ausgangspunkt in die eine oder die andere Richtung zu verschieben. Aufgabe der Rechtsprechung ist es, im Einzelfall die richtige Gebühr zu finden, nicht aber, die Maßstäbe zu verschieben.
Verhältnis zwischen Masse und Kosten kein relevanter Belang
In Rechtsprechung und Literatur wird auch immer wieder die Frage diskutiert, inwieweit die Kosten "im Verhältnis" zur Hauptsache stehen müssen. Der BGH bezieht dazu klar Stellung: in keinem Verhältnis! Hier lag die Vergütung rund 600 % höher als die zur Verfügung stehende Masse. Das war für den BGH – zu Recht – kein Umstand, der eine Absenkung der Gebühr rechtfertigt. Aus einem geringen Streitwert kann grundsätzlich nicht auf einen kleinen Aufwand geschlossen werden. Gleiches gilt umgekehrt. Der Gesetzgeber hat sich – gerade auch im RVG – für ein System der Querfinanzierung entschieden. Bei kleinen Streitwerten ist die Vergütung häufig nicht auskömmlich, während bei hohen Streitwerten der Ertrag den Aufwand deutlich übersteigt. Das ist gewollt. Wie will etwa ein Rechtsanwalt eine Vollstreckungsmaßnahme (0,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 3309 VV RVG) bei einem Streitwert bis 500 EUR auskömmlich für 18 EUR netto erledigen? Auch vorgerichtlich ist für einen Unternehmer mit Sach- und Personalkosten kaum darstellbar, dass er für 70,20 EUR netto die maßgeblichen Informationen aufnimmt, in jeder Hinsicht rechtlich aufbereitet und den Gegner kontaktiert. Wer viele kleine Streitwerte zu verzeichnen hat, kann dies nur durch eine Vielzahl von Mandanten und eine starke Standardisierung ausgleichen. Auch das gehört zum Durchschnitt.
Deutsches Recht setzt Individualrecht
Am Ende bleibt dann aber doch auch die Abwägung im Einzelfall, weshalb der BGH die Ausgangsentscheidung auch aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hat. Es durchzieht die Rechtsprechung des BGH in vielen Rechtsgebieten, dass es am Ende die Umstände des konkreten Einzelfalles sind, die entscheiden. Sie müssen zusammengestellt und abgewogen werden. Das ist die vornehmste Aufgabe des Richters. Rechtsanwendung ist eben keine Mathematik. In diesem Sinne ist das deutsche Recht immer Individualrecht. Die auf den Umständen des Einzelfalles ruhende Rechtsprechung tut sich deshalb mit Musterverfahren oder Sammelklagen schwer, weil diese Verfahren letztlich dem einzelnen Rechtssubjekt nicht gerecht werden. Genau darauf besteht aber ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch. Ein Anspruch, der auch nicht nur einer Gruppe zusteht, etwa dem Verbraucher oder dem Schuldner oder dem Arbeitnehmer, sondern allen Gruppen gleichermaßen, also auch dem Unternehmer. In der Einzelfallabwägung wird hier der Ausgleich gesucht und gefunden. Man kann nur hoffen, dass auch der nationale wie der europäische Gesetzgeber dieses Signal des BGH aufnehmen und verstehen. Es ist am Gesetzgeber, die Rahmen zu setzen und die Abwägungsbelange zu benennen. Das kann er nicht in Form von Massenver...