Leitsatz
Werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für zurückliegende Zeiträume nachgezahlt, sind bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrages gemäß § 850k Abs. 4 ZPO die nachgezahlten Beträge den Leistungszeiträumen zuzurechnen, für die sie gezahlt werden.
BGH, Beschl. v. 24.1.2018 – VII ZB 21/17
1 I. Der Fall
Pfändung in P-Konto
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung im Wege der Kontopfändung in ein P-Konto wegen einer durch Vollstreckungsbescheid titulierten Geldforderung (1.564,23 EUR). Der individuelle Pfändungsfreibetrag der Schuldnerin mit zwei Kindern beträgt 1.705,21 EUR monatlich.
Hinweis
Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, der die Pfändungsfreigrenzen 2015 bis 2017 betraf, so dass nach §§ 850c Abs. 1, 850k ZPO der Betrag für den Schuldner (1.073,88 EUR) und die beiden Kinder (404,16 EUR und 225,17 EUR) der für diesen Zeitraum geltenden Pfändungsfreigrenzen zu berücksichtigen war. Heute, d.h. für den Zeitraum vom 1.7.2017 bis 30.6.2019, wären für die Schuldnerin 1.133,80 EUR sowie für die beiden unterhaltsberechtigten Kinder 426,71 EUR und 237,73 EUR zu berücksichtigen. Es ergäbe sich dann heute ein Pfändungsfreibetrag von 1.798,24 EUR.
Aufgrund des Bescheids des Landkreises vom 17.10.2016 erhielt die Schuldnerin auf diesem Konto eine Nachzahlung von Leistungen nach dem SGB II für die Monate März bis November 2015 in Höhe von 5.584,16 EUR.
Erweiterter Pfändungsfreibetrag gegen den Willen des Gläubigers
Auf Antrag der Schuldnerin hat das Vollstreckungsgericht die Pfändung durch den Gläubiger gemäß § 850k Abs. 4 ZPO teilweise aufgehoben und zugunsten der Schuldnerin einen einmaligen, das unpfändbare Einkommen übersteigenden Betrag in Höhe von 5.584,16 EUR "freigegeben". Dabei hat es die Nachzahlung auf die Monate aufgeteilt, für die (und nicht in denen) die Nachzahlung erfolgte. In den jeweiligen Monaten habe dies zu keinem pfändbaren Betrag geführt, so dass jetzt der gesamte Nachzahlungsbetrag freigestellt werde.
Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das LG zurückgewiesen, so dass er sein Pfändungsziel mit der Rechtsbeschwerde weiterverfolgt.
2 II. Aus der Entscheidung
BGH folgt dem LG und "begradigt" die Entscheidung
Das LG geht zutreffend davon aus, dass sich die auf Antrag der Schuldnerin erfolgte Anordnung des Vollstreckungsgerichts, im Hinblick auf die auf dem Pfändungsschutzkonto der Schuldnerin eingegangene Nachzahlung in Höhe von 5.584,16 EUR einen erhöhten pfändungsfreien Betrag nach § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO festzusetzen, als rechts- und ermessensfehlerfrei darstellt. Die "Freigabe" dieses Betrags durch das Vollstreckungsgericht ist als Festsetzung eines (weiteren) pfändungsfreien Betrags gemäß § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO auszulegen.
Anwendbare Vorschriften
Nach § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag einen von § 850k Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. Gemäß § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO ist dabei § 54 Abs. 4 SGB I entsprechend anzuwenden, der bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. § 54 Abs. 4 SGB I ist anwendbar (vgl. BGH MDR 2013, 57), da die hier in Rede stehende Nachzahlung einen Zeitraum vor Inkrafttreten des § 42 Abs. 4 SGB II (in der ab 1.8.2016 geltenden Fassung) betrifft, der in seinem Anwendungsbereich § 54 Abs. 4 SGB I verdrängt (vgl. hierzu BGH, 24.1.2018 – VII ZB 27/17).
Zurechnung der Nachzahlung
Die Nachzahlung an die Schuldnerin für die Monate März bis November 2015 ist für die Bemessung des pfandfreien Betrags für Arbeitseinkommen gemäß § 850c ZPO jeweils dem monatlichen Leistungszeitraum zuzurechnen, für den sie gezahlt wurde (BGH MDR 2013, 57). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des entsprechend anwendbaren § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach die Pfändungsfreigrenzen jeweils für den Zeitraum gelten, für den Arbeitseinkommen gezahlt wird. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dass durch diese Art der Berechnung des gemäß § 850k Abs. 4 S. 1 ZPO dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags auch dem aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums Rechnung getragen wird.
Die Zweckrichtung der Leistung muss gesehen werden
Der Auffassung der Gläubigerin, zur Beurteilung der Frage, ob die Sicherung des Existenzminimums des Schuldners gewährleistet sei, seien zurückliegende Zeiträume nicht in die Betrachtung einzubeziehen, ist nicht zu folgen. Der Senat hat mit Beschluss vom heutigen Tag entschieden, dass der sozialrechtliche Aktualitätsgrundsatz ("in praeteritum non vivitur") im Falle der Gewährung von Leistungen für zurückliegende Zeiträume nicht zu rechtfertigen vermag, den Leistungsempfänger als vermindert schutzwürdig anzusehen und ihm bezüglich der gewährten Leistungen Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto vorzuenthalten. Denn der fehlende Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto hätte zur Folge, dass die Leistungen im Ergebnis nich...