Leitsatz
Durch eine Taschenpfändung beim Schuldner in einem Sitzungssaal eines Amtsgerichts wird nicht in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eingegriffen.
BGH, 3.11.2011 – IX ZR 45/11
1 I. Der Fall
GV will Durchsuchungsbeschluss für Taschenpfändung im AG
Die Gläubigerin vollstreckt aufgrund eines Versäumnisurteils gegen den Schuldner (SU), der derzeit ohne zustellungsfähige Anschrift ist. Im Rahmen einer Güterverhandlung wurde das persönliche Erscheinen des SU als Geschäftsführer einer beklagten GmbH angeordnet. Die Gläubigerin hat in Absprache mit dem zuständigen GV den Antrag gestellt, die Durchsuchung des Schuldners zu bewilligen. Das hat das AG abgelehnt.
2 II. Die Entscheidung
Antrag fehlt die Rechtsgrundlage
Soweit ein richterlicher Beschluss zur Durchsuchung des Schuldners beantragt ist, gibt es keine Rechtsgrundlage zum Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Insoweit hat der GV bei einer Taschenpfändung nach §§ 758 Abs. 1 und 2, 759 ZPO, §§ 107 Nr. 9, 108, 108 a GVGA vorzugehen. In diesem Zusammenhang kann er auch die Kleider des Schuldners durchsuchen, weil sie als Behältnisse im Sinne von § 758 Abs. 2 ZPO anzusehen sind (Zöller, 29. Aufl., § 808 ZPO Rn 5).
Durchsuchungsbeschluss nur bei der Durchsuchung einer Wohnung
Nur soweit es um die Durchsuchung einer Wohnung geht, bedarf es wegen des Richtervorbehalts für eine Wohnungsdurchsuchung nach Art. 13 Abs. 2 GG eines richterlichen Beschlusses (siehe § 107 Nr. 9 S. 2 GVGA). Hier bedarf es aber keines Durchsuchungsbeschlusses nach § 758a Abs. 1 ZPO, weil bereits der Anwendungsbereich von § 758a Abs. 1 ZPO nicht eröffnet ist. So soll gerade keine Wohnung des Schuldners durchsucht werden.
Weiter Wohnungsbegriff …
Bei der Wohnungsbestimmung ist zwar die weite Auslegung des Begriffs Wohnung des BVerfG maßgebend. Danach ist der Begriff der Wohnung i.S.d. Art. 13 GG (vgl. BVerfGE 32, 54, 69 ff.) nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen, sondern weit auszulegen. Er umfasst zur Gewährleistung einer räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben ungestört entfalten kann, alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Wirkens gemacht sind. Maßgeblich ist dabei die nach außen erkennbare Zweckbestimmung des Nutzungsberechtigten. Der Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst danach außer Wohnräumen im engeren Sinne etwa Gartenhäuser, Hotelzimmer, Wohnwagen, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume, Personalaufenthaltsräume, Arbeitshallen, Werkstätten oder ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro (siehe auch § 107 Nr. 1 Abs. 2 GVGA). Demgegenüber werden z.B. Unterkunftsräume eines Soldaten oder Polizeibeamten, Personenkraftwagen oder Hafträume in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643) nicht als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG angesehen.
… erfasst nicht auch das Amtsgericht
Vorliegend aber handelt es sich um einen Sitzungssaal des AG, also um keine Räumlichkeit, welche dem Schuldner eine Privatsphäre zukommen lässt. Der Schuldner wäre auch nicht berechtigt, diesen Raum zur Stätte seines Lebens und Wirkens zu machen, welche der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen ist.
Auch keine Wohnung eines Dritten
Soweit ein Antrag möglicherweise gestellt worden ist, weil von der Wohnung eines Dritten ausgegangen wird, ist darauf hinzuweisen, dass § 758a Absatz 1 ZPO keine Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung Dritter bietet, in denen eine Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner durchgeführt werden soll (LG Aurich NJW-RR 1991, 192; OLG Oldenburg DGVZ 1990, 137, AG Wiesloch DGVZ 2002, 61; vgl. auch BGH NJW 2009, 3438 zum Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage nach Art. 13 Abs. 2 GG zum Betreten von Geschäftsräumen eines Dritten durch den vorläufigen Insolvenzverwalter). Daher kann das Vollstreckungsgericht keinen Durchsuchungsbeschluss nach § 758a Abs. 1 ZPO gegen Dritte erlassen. § 758a Abs. 3 enthält zwar eine Duldungspflicht für einen Dritten als Mitbewohner, stellt aber keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zu Lasten Dritter dar.
Taschenpfändung auch in der Wohnung eines Dritten zulässig
Gleichwohl hat der GV beim Betreten einer Wohnung eines Dritten zu prüfen, ob eine richterliche Durchsuchungsanordnung wegen Art. 13 Abs. 2 GG erforderlich ist, wie sich auch §§ 108 Nr. 1 und 5, 107 Nr. 1–3 GVGA entnehmen lässt (siehe auch OLG Hamburg NJW 1984, 2898). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach h.M grundsätzlich eine sog. – wie hier beabsichtigte – Taschenpfändung beim Schuldner, der sich in der Wohnung eines Dritten aufhält, ohne eine richterliche Durchsuchungsanordnung gegen den Dritten zulässig ist. So darf der GV dem Schuldner überallhin folgen, wo dieser Gewahrsam ausübt (Münchner Kommentar, 3. Aufl., § 758a ZPO Rn 9 m.w.N.; a.A. wohl Zöller, 29. Aufl., § 758a ZPO Rn 5). Außerdem ist keine Durchsuchung gegeben, denn staatliche Organe suchen nicht ziel- und zweckgerichtet nach Personen oder Sachen oder ermitteln nicht einen Sachverhalt, um etwas aufzuspüre...