Praxisferne Betrachtungsweise
Die Entscheidung des LG mag konsequent begründet sein, in ihrem Ergebnis überzeugt sie nicht. Ihr liegt eine übertriebene Einzelfallbetrachtung zugrunde, die den Schutzzweck der Norm, das tatsächliche Schutzbedürfnis und moderne Finanzierungsformen der Deutschen Wirtschaft und in letzter Konsequenz auch die Erfordernisse zur Bewältigung von hohen Fallzahlen unberücksichtigt lässt.
Es gibt kein Problem mit der Bevollmächtigung
In der Praxis ist nicht feststellbar, dass ein Missbrauch mit Vollmachten auf Seiten des Gläubigers betrieben wird, insbesondere Forderungen geltend gemacht werden, mit deren Beitreibung der Rechtsdienstleister nicht beauftragt ist. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: In vielen Branchen, insbesondere in der Telekommunikation, im Versandhandel, in der Energiewirtschaft oder den Versicherungen, um nur einige Beispiele zu nennen, kommt es zu Forderungsausfällen in hohen Fallzahlen.
Beispiel
So weist die Statistik in Deutschland für das Ende des Jahres 2011 alleine 114,13 Mio. Mobilfunkanschlüsse aus. Dies weist auf eine hohe Zahl von rund 80 Mio. Rechnungen jeden Monat (!) hin, wenn Multi-Sim-Karten und einheitliche Rechnungen für mehrere Mobilfunkanschlüsse in Rechnung gestellt werden. Entsprechend hoch ist die Zahl der Rechnungen, die nicht unmittelbar bezahlt und deshalb gemahnt werden. Auch wenn im weiteren Ablauf die Zahl der noch beizutreibenden Rechnungen im Einzugsprozess immer geringer wird, sind doch ganz erhebliche Massen zu bewältigen.
Kopie reicht aus, wenn keine anderen Anhaltspunkte bestehen
Es ist dem Gläubiger kaum vermittelbar, dass er dem Rechtsdienstleister in jedem Einzelfall eine gesonderte Originalvollmacht unterzeichnen soll. Die Verantwortlichen in den genannten Branchen hätten nichts anderes mehr zu tun, als Vollmachten zu unterschreiben. Ein sachgerechter Umgang mit diesen Fragen verlangt deshalb, dass eine Originalvollmacht nur und erst dann verlangt wird, wenn begründete Zweifel an dem Vorliegen einer Vollmacht bestehen.
Hinweis
Nicht anders wird im Erkenntnisverfahren vorgegangen. Der Beweisantritt durch eine Urkunde erfolgt nach den rechtlichen Bestimmungen stets durch die Vorlage der Originalurkunde. In der Praxis wird allerdings immer eine Kopie vorgelegt. Dann bleibt nahezu immer unstreitig, dass eine Urkunde entsprechenden Inhaltes besteht, so dass es kein Schutzbedürfnis mehr gibt, die Urkunde im Original vorzulegen.
Die Folgen bedenken
Die meisten Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgerichte verfahren in der skizzierten Art und Weise. Das ist mehr als nur sachgerecht. Dem Schuldner entsteht dadurch kein Nachteil. Er ist am Verfahren beteiligt und erhält die maßgeblichen Entscheidungen zugestellt. Er kann sodann Anhaltspunkte vortragen, die gegen eine Bevollmächtigung sprechen. In diesem Fall ist eine Überprüfung angezeigt. Dagegen sollte vermieden werden, dass durch nur scheinbar einen Schutzzweck erfüllende Formalien dem Schuldner die Möglichkeit gegeben wird, den berechtigten Forderungsausgleich – die Forderung ist immerhin tituliert – zu verhindern. Die Zeche zahlen alle ehrlichen Verbraucher und Arbeitnehmer: über höhere Preise oder geringere Löhne, in manchen Branchen gar durch Entlassungen.