I. Das Problem
"Lohnvorschuss" vor dem PfÜB
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner und hat mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss das Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet. Aus den nachfolgend vorgelegten Lohnabrechnungen ergibt sich, dass der Schuldner vor der Pfändung einen "Lohnvorschuss" erhalten hat, so dass die jetzigen Auszahlungsbeträge unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegen. Gibt es eine Möglichkeit, doch noch zu einem pfändbaren Betrag zu kommen?
II. Die Lösung
Was ist ein "Lohnvorschuss"?
Wenn von einem Lohnvorschuss gesprochen wird, ist dies rechtlich gesehen unpräzise. Es können sich ganz unterschiedliche Rechtsgeschäfte zwischen dem Schuldner und dem Arbeitgeber dahinter verbergen, die unterschiedliche Rechtsfolgen haben:
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Es kann sich um eine echte Vorauszahlung auf den erst künftig fällig werdenden Lohnanspruch handeln. Auf diese Weise versucht der Schuldner, einen Liquiditätsengpass mit Hilfe des Arbeitgebers zu überbrücken. |
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Es kann sich aber auch um ein Arbeitgeberdarlehen handeln. Dieses wird unabhängig vom konkreten künftigen Lohnanspruch gewährt. Nach den vertraglichen Vereinbarungen wird lediglich die Darlehensrückzahlungsrate vom Lohn einbehalten. |
Hinweis
Für den Gläubiger kann es sinnvoll sein, im Gespräch mit dem Schuldner oder dem Arbeitgeber ein solches Darlehen zur Begleichung der Forderung zu gewähren. Der Vorteil für den Schuldner liegt darin, dass keine weiteren Zinsen und Kosten auf die Vollstreckungsforderung anfallen. Ein weiterer Vorteil kann darin liegen, dass der Gläubiger für diesen Fall eine verminderte Zahlung als Abfindungsvergleich anbietet. Der Arbeitgeber erspart sich die Auseinandersetzung mit dem Gläubiger und bindet den (wertvollen) Arbeitnehmer ggf. fester an sich.
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Letztlich kann es sich auch um eine Abschlagszahlung handeln. Sie unterscheidet sich von der Vorauszahlung dadurch, dass der Lohn bereits verdient, aber noch nicht abgerechnet ist. Dies kann etwa auch bei Provisionsansprüchen der Fall sein oder wenn ein variables Gehalt gezahlt wird. |
Auskunftsansprüche aktivieren
Welches konkrete Rechtsgeschäft vorliegt, muss der Gläubiger klären. Der Schuldner ist ihm insoweit nach § 836 Abs. 3 ZPO, der Arbeitgeber als Drittschuldner nach § 840 ZPO sowie nach Maßgabe der mitgepfändeten Nebenrechte zur Auskunft verpflichtet. Die Lohnabrechnung dürfte dabei die wichtigsten Hinweise geben. Die Behandlung des Lohnvorschusses bei der Lohnpfändung richtet sich dann nach der konkreten Ausgestaltung.
Vorauszahlung: Es gilt das Entstehungsprinzip
Die echte Vorauszahlung ist so zu behandeln, als sei sie im Zeitpunkt der Fälligkeit erfolgt. Damit wird der pfändbare Betrag aus dem Nettolohn des Monats ohne Abzug der Vorauszahlung berechnet und der sich danach ergebende pfändbare Teil des Lohnes an den Gläubiger ausgezahlt (BAG MDR 1987, 611). Für die Berechnung der Pfandgrenze ist also von dem am Tage der Fälligkeit vertraglich geschuldeten Lohnbetrag ohne Rücksicht auf Vorauszahlungen oder Stundungen auszugehen. Der pfändbare Teil der Vergütung bestimmt sich danach nach dem Betrag der ursprünglichen Schuld, so dass für seine Berechnung die vor der Pfändung geleisteten Vorschusszahlungen einzubeziehen sind (ebenso: Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 850e Rn 14 m.w.N.). Das ist allerdings nicht unbestritten. Nach Stöber (Forderungspfändung, Rn 1266; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850 Rn 6) soll dies nur gelten, wenn die Vorauszahlung nach der Lohnpfändung geleistet und damit gegen das Zahlungsverbot verstoßen wurde. Im Übrigen sei der pfändbare Betrag nur nach dem bei Fälligkeit verbliebenen Betrag zu berechnen.
Hinweis
Die abweichende Literaturauffassung eröffnet dem Schuldner Manipulationsmöglichkeiten und ist auch aus diesem Grunde abzulehnen. Sofern aus taktischen Gründen die Vorauszahlung als "Darlehen" bezeichnet wird (Stöber, a.a.O., Rn 1267), sollte insbesondere bei kleineren Beträgen auch an eine Lohnverschleierung oder Lohnverschiebung nach § 850h ZPO gedacht werden.
Rückzahlung des Darlehns genau prüfen
Nicht jedem Schuldner gelingt es – auch im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber –, sich der wirksamen Pfändung zu entziehen. So werden nach der Lohnpfändung Darlehen hingegeben und dann die Rückzahlungsraten vom Nettolohn abgezogen und erst danach wird von dem verbleibenden Betrag die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens vorgenommen. Das ist nach § 392 BGB unwirksam. Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist aus dem Gesamtnetto vor Abzug der Rückzahlungsrate zu berechnen und an den Gläubiger auszuzahlen. Sofern der Schuldner die Rückzahlung nicht aus seinem unpfändbaren Arbeitseinkommen freiwillig leistet, muss der Arbeitgeber sich bis zur endgültigen Befriedigung des Gläubigers aus dem PfÜB gedulden. Anders verhält es sich, wenn das Darlehen bereits vor der Pfändung gewährt wurde – was sehr genau zu prüfen ist. Dann muss sich der Gläubiger hinten anstellen und erst die endgültige Rückführung des Darlehens abwarten.
Hinweis
Die Manipulationsgefahr im kollusive...