Leitsatz
Um den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen, muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich – gegebenenfalls im Wege der Auslegung – ergibt, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt.
Der Gläubiger kann diesen Nachweis nicht durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides führen.
BGH, 6.4.2016 – VII ZB 67/13
1 I. Der Fall
Vollstreckung aus VB wegen Unterhaltsforderung
Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Diesen hatte er wegen Unterhaltsansprüchen erwirkt, nachdem er als zuständige Gebietskörperschaft an das leibliche Kind des Schuldners zu Händen der Kindesmutter Unterhaltsvorschuss gezahlt hatte. Im Vollstreckungsbescheid war die Hauptforderung als "Unterhaltsrückstand gemäß Schreiben … vom 1.11.2010 bis 31.3.2011" bezeichnet.
Pfändung des Arbeitseinkommens mit Privilegierung abgelehnt
Der Gläubiger hat beim AG – Vollstreckungsgericht – die Pfändung des Arbeitseinkommens des Schuldners unter Anwendung der Privilegierung des § 850d ZPO beantragt. Das AG hat einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) nach Maßgabe der gemäß § 850c ZPO bestehenden Pfändungsgrenzen erlassen und den Antrag auf eine weitergehend privilegierte Pfändung gemäß § 850d ZPO zurückgewiesen. Das LG hat dies bestätigt. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hatte der BGH zu entscheiden.
2 II. Die Entscheidung/Der Praxistipp
Strenge Anforderungen an den Nachweis der Privilegierung
Der Gläubiger, der eine nach § 850d Abs. 1 ZPO privilegierte Zwangsvollstreckung betreiben möchte, muss dem Vollstreckungsorgan einen Titel vorlegen, aus dem sich – gegebenenfalls im Wege der Auslegung – die Qualifikation des zugrunde liegenden Anspruchs als Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art ergibt (BGH FoVo 2013, 31). Denn es ist wie im Fall des § 850f Abs. 2 ZPO (BGH FoVo 2011, 134) nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts zu prüfen, ob der Gläubiger aus einem in der Zwangsvollstreckung privilegierten Anspruch vorgeht. Vielmehr ist es an die Auffassung des Prozessgerichts hierzu gebunden. Allein das wird der Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gerecht.
Hinweis
Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn mehrere Unterhaltsgläubiger konkurrieren. Hierzu hat der BGH (FoVo 2013, 31) allerdings bereits festgestellt, dass die Bevorrechtigung des Gläubigers gemäß § 850d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten sich nicht unmittelbar aus dem Titel ergeben muss. Die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter hat das Vollstreckungsorgan bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO selbstständig zu prüfen und festzulegen. Allerdings kann die Vollstreckung ggf. beschleunigt werden, wenn die Rangfolge schon im Erkenntnisverfahren durch Feststellungsanträge festgelegt werden kann.
BGH überprüft Ansicht, hält aber daran fest
Hieran hält der Senat auch angesichts vereinzelt geäußerter Kritik (Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn 1113, 1193, 1193a; zustimmend dagegen Ahrens, NJW 2013, 240 f.; Aps, FF 2013, 28 f.; Seiler, FamRZ 2012, 1801 f.) fest. Nach diesen Grundsätzen hat der Senat bereits entschieden, dass durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides der Nachweis der Voraussetzungen einer privilegierten Vollstreckung selbst dann nicht geführt werden kann, wenn sich aus ihm der Anspruchsgrund ergibt (BGH NJW 2005, 1663 f., BGH FoVo 2011, 134). Er hat zur Begründung unter anderem ausgeführt:
Dem BGH fehlt die materiell-rechtliche Prüfung im Mahnverfahren
Das Mahnverfahren soll dem Gläubiger einen einfachen und kostengünstigen Weg zu einem Vollstreckungsbescheid eröffnen. Ob der geltend gemachte Anspruch zu Recht besteht, wird in diesem Verfahren nicht geprüft, auf seine Begründung und eine Schlüssigkeitsprüfung wird verzichtet. Auch zur Individualisierung des Anspruchs (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) ist eine nähere Angabe des Rechtsgrundes, aus dem er hergeleitet wird, nicht erforderlich. Eine materiell-rechtliche Befassung des Prozessgerichts findet nicht statt; die rechtliche Einordnung des Anspruchs beruht allein auf einseitigen, vor der Titulierung nicht überprüften Angaben des Gläubigers. Schon deshalb kann eine Bindung für das Vollstreckungsgericht nicht eintreten.
Hinweis
Das ist eine bloße Behauptung des BGH, dem es an einer sachlichen Begründung fehlt. Wegen des eigentlichen Zahlungsanspruchs, der nicht intensiver geprüft wird, tritt auch eine Bindung ein. Niemand käme auf die Idee, den Zahlungsanspruch noch einmal überprüfen zu wollen. Der wahre Grund für die im Ergebnis angesichts der konkreten Rechtslage richtige Entscheidung des BGH ist, dass im gerichtlichen Mahnverfahren nur Geldforderungen, aber keine Feststellungsansprüche tituliert werden können, § 688 Abs. 1 S. 1 ZPO. Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert, das gerichtliche Mahnverfahren nicht weiter zu entwerten. Es...