Leitsatz
Der Zufluss einer Versicherungssumme auf dem Pfändungsschutzkonto, die zum Überschreiten des Freibetrages führt, rechtfertigt außerhalb von § 850k Abs. 4 ZPO keinen weitergehenden Pfändungsschutz. Insbesondere kommt keine Freigabe nach § 765a ZPO in Betracht.
AG Brakel, 10.12.2015 – 4 M 0264/12
1 I. Der Fall
Zufluss durch aufgelöste Versicherung auf P-Konto
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung und hat die Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin aus der Bankverbindung gepfändet. Bei dem gepfändeten Konto handelt es sich um ein Pfändungsschutzkonto im Sinne des § 850k ZPO. Durch die Auflösung eines "Vorsorgen-Plus-Vertrages" wurden dem Konto 224,46 EUR gutgeschrieben, deren Freigabe die Schuldnerin nunmehr beantragt. Die Gläubigerin wurde zu dem Antrag gehört, ohne eine Erklärung abgegeben zu haben.
2 II. Die Entscheidung
Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. Eine Erhöhung des Sockelfreibetrages nach § 850k ZPO kommt nicht in Betracht, da der Geldeingang insbesondere nicht der Deckung des regelmäßigen Lebensunterhalts dient. Insbesondere unterliegt der Geldeingang nicht den Pfändungsschutzvorschriften des § 850b ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Freigabe der Beträge gemäß § 765a ZPO liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der Schuldner mit Härten, welche jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, abzufinden hat. Es begründet daher keine Härte im Sinne des § 765a ZPO, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt (OLG Frankfurt OLGZ 81, 250).
Kein besonders gelagerter Fall
Für die Anwendung des § 765a ZPO genügen weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 765a ZPO Rn 5). Schuldnerschutz im Rahmen von § 765a ZPO kann nur bei einem krassen Missverhältnis der für und gegen die Vollstreckung sprechenden Interessen gewährt werden. Ein solches krasses Missverhältnis ist hier nicht zu erkennen. Besondere Gründe, durch die das Vorgehen der Gläubigerin zu einem völlig untragbaren Ergebnis führen würde, wurden somit nicht vorgetragen, so dass der Antrag auf Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO mit der Kostenfolge des § 788 ZPO zurückzuweisen war.
3 Der Praxistipp
Richtig sieht das AG, dass es nicht im Ermessen des Vollstreckungsorgans liegt, welche Beträge auf dem Pfändungsschutzkonto zu dem Grundfreibetrag nach § 850k Abs. 1 ZPO pfandfrei gestellt werden. Vielmehr bedarf es für die weitergehende Freistellung in Höhe der Freibeträge nach § 850k Abs. 2 ZPO der Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung nach § 850k Abs. 5 ZPO an den Drittschuldner. Sollen darüber hinaus eingehende Gutschriften pfandfrei gestellt werden, bedarf es eines Antrages nach § 850k Abs. 4 ZPO, der normativ aufzählt, in welchen Fällen ein solcher Schutz zusätzlich gewährt werden kann. Dabei sind insbesondere die Fälle zu berücksichtigen, bei denen auch bei der Pfändung von Arbeitseinkommen die Pfändungsfreigrenzen abgesenkt oder angehoben werden.
Hinweis
Insoweit kann es auch für den Gläubiger durchaus sinnvoll sein, einen Antrag auf Absenkung der Pfändungsfreigrenzen beim P-Konto nach § 850k Abs. 4 i.V.m. § 850f Abs. 2 bzw. 850d ZPO zu stellen, wenn etwa die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt oder ein Unterhaltsanspruch verfolgt wird.
Gläubigerzugriff ist keine besondere Härte
Die Entscheidung überzeugt, soweit das AG die Voraussetzungen des § 765a ZPO tatsächlich prüft. Es handelt sich nicht um eine Billigkeitsentscheidung des Vollstreckungsgerichts. Angesichts des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf Durchsetzung einer titulierten Forderung (Art. 14, 19 Abs. 4 ZPO) handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die zum einen konkrete Voraussetzungen normiert, zum anderen eng auszulegen ist.
FoVo 7/2016, S. 138 - 140