Streitfrage: Warten oder handeln?
Vor dem Hintergrund, dass einerseits ein arbeitsgerichtliches Urteil ungeachtet der fehlenden Rechtskraft nach § 62 ArbGG vorläufig vollstreckbar ist, andererseits die Gestaltungswirkung des Abfindungsanspruchs erst mit der Rechtskraft eintritt, ist streitig, ob die Vollstreckung betrieben werden kann.
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Einerseits wird vertreten, dass eine Vollstreckung der Abfindungszahlung vor der Rechtskraft des entsprechenden Gestaltungsurteils nicht möglich ist. Vielmehr fehle einer solchen Vollstreckung das Rechtsschutzbedürfnis (LAG Hamburg DB 1983, 724; LAG Berlin MDR 1986, 877), so dass in jedem Fall die Rechtskraft des Urteils abgewartet werden müsse. |
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Das BAG hat sich dagegen der abweichenden Auffassung (LAG Hessen NZA 1987, 211; LAG Baden-Württemberg DB 1986, 2192; LAG Bremen MDR 1983, 1054; LAG Hamm DB 1975, 1068) angeschlossen und festgestellt, dass auch ein Urteil auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der damit verbundenen Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindungssumme vorläufig vollstreckbar ist (BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979). |
Hinweis
Folgerichtig kann der obsiegende Arbeitnehmer für die Zeit ab richterlicher Festsetzung der Abfindung (also vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils) eine Verzinsung des Abfindungsbetrags verlangen (BAG v. 13.5.1969, AP Nr. 2 zu § 8 KSchG; BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979).
Aber: Ersatzpflicht beachten
Wie bei allen anderen für vorläufig vollstreckbar erklärten oder kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbaren Titeln trägt einerseits der Gläubiger das Risiko, dass er bei einer späteren Korrektur der vollstreckbaren Entscheidung Schadensersatz leisten muss. Über § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG findet die entsprechende Regelung in § 717 Abs. 2 und 3 ZPO Anwendung. Andererseits trägt der Schuldner, vorliegend also der Arbeitgeber, das Risiko, dass er zunächst freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung die Abfindungssumme ausgleichen muss und bei einer späteren Korrektur des Urteils in der Rechtsmittelinstanz nur einen Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten Abfindungssumme hat. Wie sonst auch trägt der Arbeitgeber als Schuldner damit das Risiko, ob der Arbeitnehmer in Zukunft hinreichend liquide ist, um diesen Rückzahlungsanspruch und ggf. auch einen weitergehenden Schadensersatzanspruch, etwa auf Ersatz von Finanzierungskosten, zu erfüllen.
Unterhaltsbedürfnis genießt den Vorrang
Das BAG hat in seiner Leitentscheidung (BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979) hierzu weiter festgehalten, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit der Abfindungsurteile auch dem besonderen Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG gerecht wird. Dieser liege darin, in allen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der klagenden Partei, d.h. in der Regel dem Arbeitnehmer, möglichst rasch die Befriedigung eines gerichtlich zuerkannten Anspruchs zu ermöglichen (so schon LAG Hamm BB 1975, 1068). Damit trage das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass Arbeitnehmer in aller Regel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen sind. Dies trifft auch und insbesondere dann zu, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben und ihnen wegen sozialwidriger Kündigung eine Abfindung zuerkannt wird. Die Abfindung wird in der Regel wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitseinkommens auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers benötigt.
Ende des Arbeitsverhältnisses als Fälligkeitszeitpunkt
Der vollstreckende Arbeitnehmer kann die Abfindungszahlung allerdings erst ab dem Zeitpunkt verlangen, der im Urteil als Auflösungszeitpunkt für das Arbeitsverhältnis genannt ist. Liegt dieser Zeitpunkt erst in der Zukunft, kann auch erst dann der Zahlungsanspruch durchgesetzt werden. Die Titulierung lässt also die Frage der Fälligkeit zunächst unberührt. War die Abfindung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits fällig, ist diese auch ungeachtet möglicher Rechtsmittel sofort vollstreckbar. Handelt es sich dagegen um eine zukünftige Forderung, so ist diese ebenfalls ungeachtet aller Rechtsmittel dann vollstreckbar, wenn die Fälligkeit, d.h. das Ende der Kündigungsfrist, erreicht ist.
Pfändungsschutz nach § 850i ZPO
Ist der Arbeitnehmer als Gläubiger der Abfindungszahlung selbst Schuldner eines Dritten und greift dieser Dritte im Wege der Zwangsvollstreckung auf die Abfindungszahlung zu, so ist die nach §§ 9, 10 KSchG festgesetzte Abfindung dem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO unterworfen (BAG NJW 1997, 1868; zu der seit dem 1.7.2010 geänderten Fassung dieser Norm vgl. Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2009, Rn 197, 212; LG Duisburg v. 11.6.2012, 7 T 78/12; LG Münster v. 8.2.2011, VuR 2011, 430). Ein nach §§ 9, 10 KSchG an den Arbeitnehmer zur Wahrung des sozialen Besitzstandes zu zahlender Abfindungsbetrag ist mindestens insoweit pfandfrei zu belassen, wie das Einkommen des Schuldners nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Pfändungsfreibetrag gem. der Tabelle zu § 850c ZPO nicht erreicht, und zwar für...