I. Das Problem
Wann darf der Abfindungsanspruch beigetrieben werden?
Stellt das Arbeitsgericht durch Urteil fest, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht aufgelöst wurde, jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist, so hat es nach § 9 KSchG auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die Höhe der Abfindung bestimmt sich dann nach § 10 KSchG. Das so ergehende Urteil bildet als Zahlungstitel die Grundlage der Zwangsvollstreckung. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses tritt aber erst mit der Rechtskraft des Urteils als gestalterische Wirkung dieses Urteils ein. Als Folge davon entsteht erst in diesem Zeitpunkt, d.h. dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils, ein endgültiger Anspruch auf die nach §§ 9, 10 KSchG festgelegte Abfindungszahlung. Steht dies einer Vollstreckung des Abfindungsanspruchs aus einem nach § 62 ArbGG ja grundsätzlich vorläufig vollstreckbaren Urteil entgegen?
II. Die Lösung
Streitfrage: Warten oder handeln?
Vor dem Hintergrund, dass einerseits ein arbeitsgerichtliches Urteil ungeachtet der fehlenden Rechtskraft nach § 62 ArbGG vorläufig vollstreckbar ist, andererseits die Gestaltungswirkung des Abfindungsanspruchs erst mit der Rechtskraft eintritt, ist streitig, ob die Vollstreckung betrieben werden kann.
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Einerseits wird vertreten, dass eine Vollstreckung der Abfindungszahlung vor der Rechtskraft des entsprechenden Gestaltungsurteils nicht möglich ist. Vielmehr fehle einer solchen Vollstreckung das Rechtsschutzbedürfnis (LAG Hamburg DB 1983, 724; LAG Berlin MDR 1986, 877), so dass in jedem Fall die Rechtskraft des Urteils abgewartet werden müsse. |
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Das BAG hat sich dagegen der abweichenden Auffassung (LAG Hessen NZA 1987, 211; LAG Baden-Württemberg DB 1986, 2192; LAG Bremen MDR 1983, 1054; LAG Hamm DB 1975, 1068) angeschlossen und festgestellt, dass auch ein Urteil auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der damit verbundenen Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindungssumme vorläufig vollstreckbar ist (BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979). |
Hinweis
Folgerichtig kann der obsiegende Arbeitnehmer für die Zeit ab richterlicher Festsetzung der Abfindung (also vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils) eine Verzinsung des Abfindungsbetrags verlangen (BAG v. 13.5.1969, AP Nr. 2 zu § 8 KSchG; BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979).
Aber: Ersatzpflicht beachten
Wie bei allen anderen für vorläufig vollstreckbar erklärten oder kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbaren Titeln trägt einerseits der Gläubiger das Risiko, dass er bei einer späteren Korrektur der vollstreckbaren Entscheidung Schadensersatz leisten muss. Über § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG findet die entsprechende Regelung in § 717 Abs. 2 und 3 ZPO Anwendung. Andererseits trägt der Schuldner, vorliegend also der Arbeitgeber, das Risiko, dass er zunächst freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung die Abfindungssumme ausgleichen muss und bei einer späteren Korrektur des Urteils in der Rechtsmittelinstanz nur einen Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten Abfindungssumme hat. Wie sonst auch trägt der Arbeitgeber als Schuldner damit das Risiko, ob der Arbeitnehmer in Zukunft hinreichend liquide ist, um diesen Rückzahlungsanspruch und ggf. auch einen weitergehenden Schadensersatzanspruch, etwa auf Ersatz von Finanzierungskosten, zu erfüllen.
Unterhaltsbedürfnis genießt den Vorrang
Das BAG hat in seiner Leitentscheidung (BAG NZA 1988, 329 = AP Nr. 4 zu § 62 ArbGG 1979) hierzu weiter festgehalten, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit der Abfindungsurteile auch dem besonderen Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG gerecht wird. Dieser liege darin, in allen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der klagenden Partei, d.h. in der Regel dem Arbeitnehmer, möglichst rasch die Befriedigung eines gerichtlich zuerkannten Anspruchs zu ermöglichen (so schon LAG Hamm BB 1975, 1068). Damit trage das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass Arbeitnehmer in aller Regel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen sind. Dies trifft auch und insbesondere dann zu, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben und ihnen wegen sozialwidriger Kündigung eine Abfindung zuerkannt wird. Die Abfindung wird in der Regel wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitseinkommens auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers benötigt.
Ende des Arbeitsverhältnisses als Fälligkeitszeitpunkt
Der vollstreckende Arbeitnehmer kann die Abfindungszahlung allerdings erst ab dem Zeitpunkt verlangen, der im Urteil als Auflösungszeitpunkt für das Arbeitsverhältnis genannt ist. Liegt dieser Zeitpunkt erst in der Zukunft, kann auch erst dann der Zahlungsanspruch durchgesetzt werden. Die Titulierung lässt also die Frage der Fälligkeit zunächst unberührt. War die Abfindung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits fällig, ist diese auch ungeachtet möglicher Rechtsmittel sofort vollstreckbar. Handelt es sich dagegen um eine ...