Leitsatz
Der Gerichtsvollzieher darf erst nach mehreren, d.h. mindestens zwei fruchtlosen Verhaftungsversuchen, von denen einer zumindest einmal kurz vor Beginn der Nachtzeit oder unmittelbar nach deren Ende stattzufinden hat, vom Gläubiger einen Nacht- und/oder Sonn- und Feiertagsbeschluss verlangen bzw. die Zwangsvollstreckung vorläufig einstellen.
AG Halle, 23.12.2011 – 53 M 5272/11
I. Die Entscheidung
Hat der GV besondere Erkenntnisse, darf er ZwV vorläufig einstellen
Der Gerichtsvollzieher darf das Verfahren zur Vollstreckung eines Haftbefehls – vorläufig – einstellen, wenn der Schuldner nicht aufzufinden oder nicht anzutreffen ist (§ 187 Nr. 5 Satz 1 GVGA). Dabei ist die Vorgehensweise des Gerichtsvollziehers, grundsätzlich auf Erkenntnisse anderer bei ihm laufender Vollstreckungsverfahren zurückzugreifen, nicht zu beanstanden. Den Regelungen der GVGA ist umgekehrt der Rechtsgedanke zu entnehmen, gesicherte Erkenntnisse aus anderen Verfahren auch für ein etwaiges neues Verfahren fruchtbar zu machen.
Aber erst einmal sind alle Anstrengungen zu unternehmen
Die GVGA liefert auch nähere Anhaltspunkte für das Merkmal, der Schuldner sei "nicht aufzufinden oder nicht anzutreffen". Denn der Gerichtsvollzieher soll – erst – nach wiederholtem fruchtlosem Verhaftungsversuch in einer Wohnung dem Gläubiger anheim geben, einen gerichtlichen Beschluss über die Verhaftung zur Nachtzeit zu erwirken. Dabei muss mindestens einer dieser Verhaftungsversuche kurz vor Beginn oder nach Beendigung der Nachtzeit erfolgt sein (§ 187 Nr. 5 Satz 2 GVGA). Diese Voraussetzung (zwei Verhaftungsversuche innerhalb der Wohnung) ist bislang nicht erfüllt.
AG verlangt sogar drei Versuche
Allerdings erfordern der grundgesetzlich geschützte Raum der Wohnung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein ausgewogenes Vorgehen. Deshalb ist der GV gehalten, vor einer zwangsweisen Durchsuchung der Wohnung Vollstreckungsversuche zu unternehmen, bei denen er auf ein freiwilliges Öffnen der Wohnungstür durch den Schuldner wartet. Die GVGA enthält hierzu keine ausdrücklichen Regelungen. Deshalb ist es sinnvoll, die Vorschrift des § 187 Nr. 6 Satz 2 GVGA entsprechend anzuwenden (welche die Voraussetzungen für eine Vollstreckung zur Nachtzeit näher bezeichnet). Danach sollten zwei Vollstreckungsversuche kurz vor Beginn oder nach Beendigung der Nachtzeit geschehen, bevor dann im dritten Versuch eine (erstmalige) Zwangsöffnung geschieht.
Kein Nachweis, dass der SU anwesend ist
Auch die Zwangsöffnung als solche muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden. Dabei überspannt es allerdings die Anforderungen des Schuldnerschutzes einseitig zum Nachteil des Gläubigers, wenn – positiv – ein begründeter Anlass zu der Annahme gefordert wird, der Schuldner halte sich in der Wohnung auf (so aber AG Berlin-Charlottenburg v. 3.7.1980, 30 M 8048/80). Diese Handhabung würde dazu führen, dass sich ein Schuldner einfach durch Nichtöffnung der Wohnung seiner Verhaftung entziehen könnte (AG Halle (Saale) v. 24.6.2008, 53 M 3508/08). Wohl fehlt es an der Berechtigung zur gewaltsamen Öffnung der Wohnung, wenn praktisch feststeht, dass diese durch den Schuldner nicht mehr benutzt wird. Erkenntnisse hierzu kann (und muss) der Gerichtsvollzieher durch Beobachtungen vor Ort und – soweit möglich – Befragungen von Nachbarn gewinnen.
II. Der Praxistipp
Ziel ist Information, nicht Verhaftung
Erscheint der Schuldner im Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht oder verweigert er die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Grund, so kann der Gläubiger einen Haftbefehl gegen den Schuldner erwirken. Konsequent muss er dann auch die Verhaftung des Schuldners betreiben, um die mit dem Offenbarungsverfahren erstrebte Informationsbeschaffung zu finalisieren. Allein der Umstand, dass der Schuldner aufgrund der Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung und mit dem Erlass eines Haftbefehls ins Schuldnerverzeichnis eingetragen wird und damit bei der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsleben Schwierigkeiten begegnet, ist nicht ausreichend, um dem Ziel einer Befriedigung der Gläubigerforderungen näher zu kommen. Die Entscheidung des AG Halle ist eine geeignete Grundlage, um die Verhaftung durch den Gerichtsvollzieher auch erfolgreich zu bewerkstelligen.
Reform der Sachaufklärung bietet Alternativen
Mit der Reform der Sachaufklärung wird der Gläubiger allerdings ab dem 1.1.2013 eine weitere effektive Möglichkeit zur Informationsbeschaffung erlangen. Kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nach, so kann der Gerichtsvollzieher auf Antrag des Gläubigers nach § 802l ZPO bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen oder die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners, beim Bundeszentralamt für Steuern die in § 93b AO bezeichneten Daten sowie beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Abs. 1 StVG zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetra...