Verwirkung: Zeitmoment
Der Unterhalt für die Zeit vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2011 ist wegen nicht zeitnaher Geltendmachung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwirkt. Das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment ist vorliegend für den Zeitraum vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2011 erfüllt. Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung des Anwaltsschreibens vom 15.2.2010, in dem die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Erteilung einer Auskunft über sein Einkommen aufgefordert hat. Selbst wenn man – obwohl sich eine Bezugnahme auf den titulierten Unterhalt nicht findet – zugunsten der Antragsgegnerin davon ausginge, dass dieses Schreiben unter dem Gesichtspunkt des Zeitmoments geeignet wäre, einer Verwirkung entgegenzustehen, ist das Zeitmoment für die Zeit bis einschließlich 31.12.2011 jedenfalls dadurch erfüllt, dass die Antragsgegnerin seither bis zur Einleitung der Vollstreckung am 4.12.2012 untätig geblieben ist.
Zeitmoment hat Grenzen
Für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 16.4.2013 ist schon das Zeitmoment für eine Verwirkung nicht erfüllt, so dass Verwirkung nicht eingetreten ist.
Verwirkung: Umstandsmoment
Hinsichtlich des soeben genannten Zeitraums ist auch das Umstandsmoment erfüllt. Mit dem Umstandsmoment ist gemeint, dass besondere Umstände zum Zeitmoment hinzutreten müssen, aufgrund deren sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH FamRZ 1988, 370).
Unterschiede bei den Gläubigergruppen
Da von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht, darf der Unterhaltsschuldner, wenn das Verhalten des Unterhaltsgläubigers den Eindruck erweckte, in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig zu sein, davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Soweit es beim Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich darauf eingerichtet hat, Unterhalt für die zurückliegende Zeit nicht mehr zahlen zu müssen, reicht die Feststellung aus, dass ein Unterhaltsverpflichteter erfahrungsgemäß seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anpasst, sodass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGH, a.a.O.; Senat NJW-RR 2002, 870). Sind Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders lag, nicht ersichtlich, so bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen eingerichtet hat. Auch Ansprüche auf Kindesunterhalt können verwirkt sein, obwohl die Verjährung solcher Ansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist. Die Grundsätze zur Verwirkung erfahren auch für titulierte Ansprüche, deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen, keine Einschränkung (BGH FamRZ 1999, 1422).
Aussichtslosigkeit der Vollstreckung unbeachtlich
Nach alledem reicht es, um das Umstandsmoment verneinen zu können, nicht aus, dass die Antragsgegnerin seinerzeit davon ausgegangen ist, vollstreckbares Vermögen sei auf Seiten des Antragstellers nicht vorhanden. Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass dann, wenn die Vollstreckung eines titulierten Anspruchs keinen Erfolg verspricht, weil der Schuldner über pfändbares Einkommen nicht verfügt, das Umstandsmoment in aller Regel verneint werden müsse (so OLG Brandenburg NJW 2013, 3188). Dem kann in dieser Allgemeinheit aber nicht beigetreten werden. Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1999, 1422) erfahren die Grundsätze zur Verwirkung bei titulierten Ansprüchen keine Einschränkung. Dies gilt auch hinsichtlich des Umstandsmoments.