Leitsatz
Betreuungsleistungen eines nicht barunterhaltspflichtigen Elternteils und Kindergeld bilden keine eigenen Einkünfte eines unterhaltsberechtigten Kindes.
BGH, Beschl. v. 19.12.2019 – IX ZB 83/18
1 I. Der Fall
Beengte wirtschaftliche Verhältnisse
Über das Vermögen des Schuldners wurde ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens wurde der weiter Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Der Schuldner, der als Kraftfahrer ein monatliches Nettoeinkommen von 2.010 EUR bezieht, lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern, dem 16-jährigen Sohn und der 20-jährigen Tochter), in häuslicher Gemeinschaft. Die Ehefrau, über deren Vermögen ebenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, erhält als Reinigungskraft ein monatliches Nettoeinkommen von 374,51 EUR. Die Familienkasse entrichtet für den Sohn ein Kindergeld von monatlich 194 EUR an die Ehefrau. Die Tochter bezieht monatlich eine Ausbildungsvergütung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) von 231 EUR. Für sie wird von der Familienkasse ein Kindergeld von 192 EUR an die Ehefrau gezahlt.
Treuhänder will Absenkung des pfändbaren Betrages
Der Beteiligte hat beantragt, dass bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Schuldnereinkommens die Ehefrau und der Sohn des Schuldners zu jeweils 71 % nicht zu berücksichtigen sind und die Tochter gänzlich unberücksichtigt bleibt. Das Insolvenzgericht ist diesem Antrag gefolgt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG angeordnet, dass bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Schuldnereinkommens die Ehefrau zu 71 %, die Tochter zu 65 % und der Sohn zu 16 % unberücksichtigt bleibt. Mit der von dem LG zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Beteiligte die Wiederherstellung der Erstentscheidung, soweit der Sohn und die Tochter des Schuldners betroffen sind.
2 II. Aus der Entscheidung
BGH: Nur das eigene Einkommen zählt
Die Rechtsbeschwerde hat im Blick auf die Berücksichtigung des Sohnes keinen Erfolg. Der Unterhalt des Sohnes wurde nicht zur Hälfte durch Betreuungsleistungen (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) seiner Mutter gedeckt. Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht oder das nach § 36 Abs. 4 S. 1 InsO an seine Stelle tretende Insolvenzgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Schon nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift alle Arten von Einkünften.
Entscheidend ist die Bedarfsdeckung – Barunterhalt ist Einkommen
Es ist zu prüfen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist. Deshalb sind Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, als eigene Einkünfte im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen (BGH ZInsO 2015, 1101 Rn 5).
Naturalunterhalt ist Einkommen: Kost und Logis
Gleiches gilt für Zuwendungen, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur geleistet werden. Auch diese, etwa unentgeltliches Wohnen oder freie Kost, mindern die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners. Es besteht daher kein sachlicher Grund, zwischen der Art der Gewährung des Unterhalts zu unterscheiden. Daher sind Einkünfte, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur zufließen, zu den Einnahmen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO zu zählen (BGH, a.a.O. Rn 6).
Betreuungsleistungen sind aber etwas anderes
Im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO können als Einkünfte des Unterhaltsberechtigten folglich sowohl ein Barunterhalt als auch ein Naturalunterhalt angerechnet werden. Dabei handelt es sich um Leistungen, die dem Unterhaltsberechtigten und damit mittelbar dem Schuldner als geldwerter Vorteil konkret wirtschaftlich zugutekommen.
Einem Bar- oder Naturalunterhalt können Betreuungsleistungen eines Elternteils in Form von Versorgung, Erziehung, persönlicher Zuwendung und Haushaltsführung nicht als Einkommen gleichgestellt werden. Die Bestimmung des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB erklärt Betreuungsleistungen des einen und Barleistungen des anderen Elternteils für grundsätzlich gleichwertig und trägt der Tatsache Rechnung, dass eine auf den Einzelfall abstellende rechnerische Bewertung des Betreuungsaufwandes unzulänglich bliebe. Mithin genügt der Elternteil, der das Kind betreut, dadurch regelmäßig seiner Unterhaltspflicht. Für den Schuldner, der sein minderjähriges Kind nicht betreut, bedeutet dies, dass er mit seinem Arbeitseinkommen den vollen Barbedarf des Kindes bestreiten muss (BGH, a.a.O. Rn 9; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 11. Aufl., § 850c Rn 35). Da die Ehefrau nur Betreuungsunterhalt schuldet, hat der Schuldner im Streitfall grundsätzlich den gesamten Barbedarf des Sohnes zu tragen.
Die Barleistungsfähigkeit wurde berücksichtigt
Wenn der andere Elternteil über die geschuldeten Betreuungsleistungen hinaus weitere Bar- oder Naturalleistungen wie unentgeltliches W...