Leitsatz
Das Schreiben eines Inkassounternehmens, das eine Zahlungsaufforderung sowie die Androhung gerichtlicher Schritte und anschließender Vollstreckungsmaßnahmen enthält und nicht verschleiert, dass der Schuldner in einem Gerichtsverfahren geltend machen kann, den beanspruchten Geldbetrag nicht zu schulden, stellt keine wettbewerbswidrige aggressive geschäftliche Handlung dar.
BGH, Beschl. v. 22.3.2018 – I ZR 25/17
1 I. Der Fall
Verbraucherzentrale mahnt IKU ab
Die Klägerin ist die Verbraucherzentrale Bayern. Die Beklagte betreibt ein Inkassounternehmen. Sie verwendet zur Eintreibung von Forderungen gegenüber Verbrauchern Schreiben, in denen sie die Verbraucher unter Androhung gerichtlicher Schritte und von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Zahlung auffordert und ihnen verschiedene Zahlungsvarianten anbietet. Die Klägerin meint, die Beklagte beeinträchtige mit diesen Zahlungsaufforderungen in wettbewerbswidriger Weise die Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern durch Druck, und mahnte die Beklagte wegen entsprechender Zahlungsaufforderungen und wegen einer den Schreiben jeweils beigefügten vorformulierten Anerkenntniserklärung und Ratenzahlungsvereinbarung erfolglos ab.
Unterlassungsanspruch gegenüber Verbrauchern?
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern im Rahmen der Geltendmachung von Forderungen Dritter die Aussage zu verwenden:
Zitat
"Letztmalig geben wir Ihnen die Möglichkeit, Ihre Forderungsangelegenheit ohne negative Auswirkungen für Sie zu erledigen. Die Gesamtforderung beträgt derzeit … EUR und wächst durch Zinsen und Gebühren laufend an. Dieser Betrag erhöht sich nochmals erheblich, sobald wir einen gerichtlichen Mahnbescheid gegen Sie veranlassen. Nutzen Sie diese Chance und ersparen Sie sich gerichtliche Schritte und den Besuch des Gerichtsvollziehers oder Pfändungsmaßnahmen auf Konten und Einkünfte."
und
Zitat
"Die Einleitung gerichtlicher Schritte steht unmittelbar bevor. Nach Erwirkung eines Vollstreckungstitels besteht 30 Jahre lang die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung gegen Sie zu betreiben: Gerichtsvollzieher, Lohnpfändung, Kontopfändung, Haftbefehl, eidesstattliche Versicherung etc. … Zusätzlich sind die durch diese Maßnahmen entstehenden Kosten gemäß §§ 284, 286 BGB von Ihnen zu tragen. Die derzeit offene Gesamtforderung von … EUR wird sich dadurch weiter erhöhen."
und/oder eine vorformulierte Anerkenntnis- und Ratenzahlungsvereinbarung zu übersenden.
LG und OLG weisen Klage ab
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom OLG zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
2 II. Aus der Entscheidung
BGH folgt den Vorinstanzen
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung (§ 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG) und Erstattung von Abmahnkosten (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG) nicht zu. Die beanstandeten Schreiben stellen keine wettbewerbswidrige aggressive geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 1 UWG a.F. und § 3 Abs. 1, § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG dar.
Altes wie neues Recht muss betrachtet werden
Da die Klägerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr stützt, ist die Klage nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig ist (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2018, 324 Rn 11 = WRP 2018, 324 – Kraftfahrzeugwerbung). Nach dem beanstandeten Verhalten der Beklagten im Frühjahr 2015 und vor der Entscheidung in der Revisionsinstanz am 22.3.2018 ist das im Streitfall maßgebliche Recht mit Wirkung ab dem 10.12.2015 durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (BGBl I 2015, S. 2158) novelliert worden. Dadurch ist der in § 4 Nr. 1 UWG a.F. geregelte Tatbestand der unlauteren Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers und des sonstigen Marktteilnehmers in die neu geschaffene Bestimmung des § 4a UWG überführt und entsprechend den Regelungen über aggressive Geschäftspraktiken gemäß Art. 8 und 9 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken neu gefasst worden. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt hieraus jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats war bereits § 4 Nr. 1 UWG a.F. unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG a.F. nur dann vorliegt, wenn der Handelnde diese Freiheit gemäß Art. 8 und 9 der Richtlinie 2005/29/EG durch Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung im Sinne des Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2005/29/EG erheblich beeinträchtigt (vgl. BGH GRUR 2015, 1134 Rn 31 = WRP 2015, 1341 – Schufa-Hinweis; BGH GRUR 2016, 831 Rn 24 = WRP 2016, 866 – Lebens-Kost; BGH GRUR 2017, 199 Rn 32 = WRP 2017, 169 – För...