1. Unstreitige Sachverhalte
Rz. 219
Ein dem deutschen Recht vergleichbares, förmliches Erbscheinsverfahren ist dem französischen Recht fremd. Nach Art. 730 C.C. kann die Erbenstellung durch alle Beweismittel nachgewiesen werden. In der Praxis werden bei unstreitigen Sachverhalten notarielle Urkunden zum Nachweis der Erbeneigenschaft verwendet. Die geläufigste und in den Art. 730–1 ff. C.C. einzige gesetzlich geregelte Form ist der sog. acte de notoriété, der von einem Notar auf Antrag eines oder mehrerer Erben errichtet wird. Dem Notar sind dabei Verfügungen von Todes wegen, Eheverträge und amtliche Dokumente wie Sterbeurkunden oder Auszüge aus dem Familienbuch und dem Heiratsregister vorzulegen. Im acte de notoriété sind nach Art. 730–1 Abs. 2 C.C. die Grundlagen, auf denen die Feststellungen des Notars zum Erbrecht beruhen, anzugeben. Ferner enthält der acte de notoriété die unterschriebene Versicherung der Antragsteller, dass sie nach ihrer Kenntnis zur Erbschaft berufen sind. Der Notar kann nach Art. 730–1 Abs. 4 C.C. alle Personen, deren Aussage ihm nützlich erscheint, bei der Errichtung zuziehen.
Rz. 220
Ein acte de notoriété erbringt im Rechtsverkehr nach Art. 730–3 C.C. bis zum Beweis des Gegenteils den Beweis der Erbenstellung. Er entfaltet nach Art. 730–4 C.C. Gutglaubensschutz zugunsten von Dritten, die mit einem Scheinerben Geschäfte abschließen. Stellt sich die Unrichtigkeit der Urkunde heraus, so kommt es nicht zu einem amtlichen Einziehungsverfahren, es wird vielmehr ein neuer, inhaltlich richtiger acte de notoriété errichtet.
Rz. 221
Hat der Erblasser ausschließlich Verwandte in gerader Linie (also auch keinen Ehegatten) hinterlassen und ist keine letztwillige Verfügung und kein Ehevertrag vorhanden und ist über die Erbenstellung kein Rechtsstreit anhängig und diese auch nicht bestritten, so ist nach Art. L 312–1–4 Code monétare et financier im Bankenverkehr für die Verfügung über eine bestimmte (durch Erlass des Wirtschaftsministers festgelegte), für vorläufige und sichernde Maßnahmen i.S.v. Art. 784 Nr. 1 C.C. (z.B. Beerdigungskosten, offene Arztrechnungen, Steuerschulden) zu verwendende Geldsumme (derzeit 5.000 EUR) gegen Nachweis kein notarieller acte de notoriété nötig. Ausreichend ist vielmehr, wenn sämtliche Verwandten in gerader Linie die vorstehenden Angaben versichern und durch Urkunden (Geburtsurkunden des Verstorbenen und der Erben, Bestätigung des zentralen Testamentsregisters, dass keine letztwillige Verfügung vorliegt) nachweisen. Gehört zum Nachlass kein Immobilienvermögen, gilt dies generell, wenn das Bankvermögen eine bestimmte (durch Erlass des Wirtschaftsministers festgelegte) Summe (derzeit 5.000 EUR) nicht übersteigt.
Rz. 222
Bei Immobilien ist gem. Art. 29, 28 Nr. 3 des Dekrets Nr. 55–22 vom 4.1.1955 und Art. 69 des Dekrets Nr. 55–1350 vom 14.10.1955 beim service chargé de la publicité foncière eine von einem Notar ausgestellte attestation notariée über die Erbfolge zu veröffentlichen. Erleidet ein Dritter durch die Nichtpublikation einen Schaden, so ist ihm dieser gem. Art. 30 Nr. 4 des Dekrets Nr. 55–22 vom 4.1.1955 zu ersetzen.
2. Streitige Sachverhalte
Rz. 223
Streiten mehrere Personen um die Rechtsnachfolge, so kann die Rechtslage mittels einer Erbschaftsklage gerichtlich geklärt werden. Auch dieses Verfahren ist gesetzlich nicht geregelt, in der Praxis aber allgemein anerkannt. Zuständig ist das Tribunal judiciaire am letzten Wohnsitz des Erblassers. Die Klage muss innerhalb von (wohl) 30 Jahren nach dem erstmaligen Bestreiten des Erbrechts durch den Beklagten erhoben werden. Der Kläger muss dabei sein Erbrecht beweisen, bei testamentarischer Erbfolge vor allem durch Vorlage der letztwilligen Verfügung, bei gesetzlicher Erbfolge vor allem durch Vorlage von Geburts und Heiratsurkunden. Einem acte de notoriété kommt dabei kein Beweiswert zu, so dass sein Vorliegen insoweit bedeutungslos ist. Ist die Klage erfolgreich, so wird die Erbenstellung des Klägers festgestellt, er kann dann vom Beklagten die Herausgabe der Nachlassgegenstände verlangen.