1 Leitsatz
Festsetzungen eines Bebauungsplans werden funktionslos, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich beziehen, grundlegend verändert haben.
2 Das Problem
Der Bayerische VGH hatte im Rechtsstreit um die Aufstockung und Erweiterung eines bestehenden Wohngebäudes über die Gültigkeit eines alten Bebauungsplans zu entscheiden. Es handelte sich um einen Baulinienplan von Anfang 1960, also vor Inkrafttreten der heutigen Baugesetzbuchregeln. Als sog. übergeleiteter Bebauungsplan galt dieser Plan weiter. Dieser Plan enthielt Baulinien, die nach der heutigen Terminologie als Baugrenzen i. S. d. § 23 Abs. 3 BauNVO anzusehen sind, die durch Gebäude und Gebäudeteile nicht überschritten werden dürfen. Das geplante Bauvorhaben überschritt eine dieser Baugrenzen deutlich und wurde deshalb vom Landratsamt abgelehnt.
3 Die Entscheidung
Der Bayerische VGH konzentrierte sich bei seiner Überprüfung des Bebauungsplans auf 2 Voraussetzungen, die auch das BVerwG (so z. B. BVerwG v. 28.4.2004, 4 C 10/03) für das Vorliegen einer Funktionslosigkeit verlangt hat. Erstens müssen die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und zweitens muss diese Tatsache so offensichtlich sein, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Gemessen an diesen Voraussetzungen verneinte der Bayerische VGH die Funktionslosigkeit der Baugrenze. Auch wenn in anderen Bereichen des Baulinienplans inzwischen erhebliche Veränderungen und Abweichungen von den Baulinien erfolgt sind, so hatte dies doch keine Auswirkungen auf das Grundstück der Kläger gebracht. Die Baugrenze entlang seinem Grundstück entfaltet im südlichen Bereich auch heute noch ihre städtebauliche Ordnungsfunktion, weil sie vom vorhandenen Baubestand ersichtlich eingehalten wird. Ihre Funktion ist es, in dem maßgeblichen Bereich die rückwärtigen Grundstücksbereiche von Wohnbebauung frei zu halten, um den homogenen Charakter des vorhandenen Straßenzugs zu erhalten. Dieses Ziel ist bis jetzt erreicht worden. Der Baulinienplan ist also nicht funktionslos geworden.
Funktionslosigkeit wird in der Praxis, wenn sich Festsetzungen eines Bebauungsplans als Hindernis erweisen, immer wieder behauptet. Insofern ist auch die weitere Aussage des Gerichts von Bedeutung, in der es auf die engen Grenzen der Funktionslosigkeit hinweist. Es heißt im Leitsatz ausdrücklich: "Die Anforderungen an das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit sind streng, und es ist große Zurückhaltung geboten".
4 Entscheidung
Bayerischer VGH, Urteil v. 27.5.2020, 1 B 19.544