1 Leitsatz
Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern verpflichtet, deren Sondereigentum nicht über das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG bestimmte Maß hinaus zu beeinträchtigen, also nicht in einer Weise, dass ihnen ein Nachteil über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus erwächst.
2 Normenkette
§ 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG; § 1004 BGB
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K nimmt Wohnungseigentümer B auf Unterlassung in Anspruch. B soll es unterlassen, dass aus seiner Wohnung Geräusche in die Wohnung des K eindringen, soweit hierdurch Zimmerlautstärke überschritten wird. K behauptet, in der Wohnung von Wohnungseigentümer B "poltere" es. Außerdem gebe es in der Wohnung von B laute Unterhaltungen, Getrampel, Möbelrücken, laute Musik und sonstige Unterhaltungsgeräusche. Lärmmessungen ihrer Mieterin hätten Werte von 54,5 db(A) bis zu 67,6 db(A) ergeben. Die Zimmerlautstärke sei damit erheblich überschritten worden. Versuche, B zu einer Reduzierung der Geräusche zu veranlassen, seinen ohne Erfolg geblieben. B meint, die Geräusche, seien üblich und normal. Infolge der baulichen Gegebenheiten lasse es sich auch bei sozialverträglicher und üblicher Nutzung nicht verhindern, dass entsprechende Geräusche in die Nebenwohnungen dringen würden. Abgesehen davon verlange K von ihm eine höchstpersönliche Unterlassung, die er nicht erbringen könne, weil er die Wohnung nicht selbst bewohne.
4 Die Entscheidung
Das AG gibt der Klage nach einer Beweisaufnahme statt! Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG sei jeder Wohnungseigentümer gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern verpflichtet, deren Sondereigentum nicht über das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG bestimmte Maß hinaus zu beeinträchtigen, also nicht in einer Weise, dass ihnen ein Nachteil über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus erwachse. Diese Verpflichtung halte B nicht ein. Denn K habe bewiesen, dass aus der Wohnung des B Geräusche in seine Wohnung eindringen, welche die Zimmerlautstärke überschritten. Die Luft- und Trittschalldämmungsmessungen des Sachverständigen belegten, dass der Schallschutz hinsichtlich Luft- und Trittschall in allen Messräumen grundsätzlich ausreichend hoch sei (Schallschutzgrenzen nach DIN 4019, wie sie im Jahr 1973/1974 gegolten haben). Aus der Wohnung des B dringe gleichwohl übermäßiger bzw. nachteiliger Lärm in die Wohnung des K. Ausgehend von einem objektiven Maßstab – bei dem nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen als Nachteil gelten, es also darauf ankomme, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen könne – habe die Nutzung der Wohnung des Beklagten zumindest zeitweise dazu geführt, dass von dort aus Geräusche, die andere Sondereigentume nachteilig beeinträchtigt haben, ausgegangen seien. B könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, K verlange von ihm etwas (Höchstpersönliches), was er aber selbst – weil er seine Wohnung nicht nutze – nicht erfüllen könne. Seine Eigenschaft als mittelbarer Handlungsstörer leite sich daraus ab, dass er die Beeinträchtigung durch einen Dritten adäquat kausal veranlasse und in der Lage sei, sie zu verhindern bzw. abzustellen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Einwirkung auf das Verhalten seiner Mieter in Anspruch. Eine solche Klage ist zwischen Wohnungseigentümern auch nach der WEG-Reform 2020 möglich und hat Erfolg, wenn die Mieter, für die der vermietende Wohnungseigentümer einzustehen hat, den Rahmen des Zumutbaren überschreiten. Im Verhältnis der Wohnungseigentümer ist insoweit an das Maß anzuknüpfen, welches § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG – allerdings sehr ungelenk – beschreibt. Im Verhältnis zum Mieter und seinem Vermieter ist an § 906 BGB anzuknüpfen, der im Ergebnis kein anderes Maß beschreibt. Die Entscheidung geht im Übrigen ohne Weiteres davon aus, dass der vermietende Wohnungseigentümer für das Verhalten seines Mieters einstehen muss. Das ist richtig, obwohl das Wohnungseigentumsgesetz hierzu keine ausdrückliche Anordnung mehr trifft.
Zimmerlautstärke
Das AG meint, der Begriff "Zimmerlautstärke" sei für eine Tenorierung anerkannt. Die "Zimmerlautstärke" werde nach allgemeiner Lebenserfahrung dann überschritten, wenn Bewohner anderer Wohnungen durch die Geräusche gestört würden (Hinweis auf LG Dortmund, Urteil v. 11.7.2017, 1 S 282/16, NJW-RR 2017, 1292 Rn. 40). Es sei hinzunehmen, dass der Streit über die Wesentlichkeit von Lärmimmissionen im Vollstreckungsverfahren gegebenenfalls erneut entschieden werden müsse. Ich stimme dem nicht zu. Der Kläger sollte die zu unterlassende Beeinträchtigung und die Grenze des zulässigen Lärms möglichst genau beschreiben, auch wenn es vielfach unmöglich ist, mit Worten das Maß unzulässiger Einwirkungen so zu bestimmen, dass der Beeinträchtigte hinreichend geschützt wird und nicht schon eine geringfügige Änderung der Einwirkung trotz einer fortdauernden nicht zu duldenden Belästigung das Verbot hinfällig macht. B...