Leitsätze
Wenn nach der Gemeinschaftsordnung eine Beschlussfähigkeit der Versammlung von dem Erreichen von mehr als 50 % der MEA abhängig ist, gilt dies wegen der Vermutung des § 47 WEG seit 1. Dezember 2020 nicht mehr.
Lädt der Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage mit 150 Wohnungen während einer Pandemie in einen Raum (hier: Verwalterbüro), der nur zum Aufenthalt von 20 Menschen geeignet ist, und rät er explizit in der Einladung vom persönlichen Erscheinen ab, so ist von einem formalen Ladungsfehler auszugehen, dessen Kausalität für die gefassten Beschlüsse vermutet wird.
Normenkette
§§ 24, 25 WEG
Das Problem
Nach der Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentumsanlage mit 150 Wohnungen ist die Versammlung beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Stimmen, gerechnet nach der Größe der Miteigentumsanteile, vertreten ist. Ist die Versammlung hiernach nicht beschlussfähig, so hat der Verwalter eine zweite Versammlung mit gleichem Gegenstand einzuberufen. Diese ist dann in jedem Fall beschlussfähig. Hierauf ist in der Einladung besonders hinzuweisen. Mit Schreiben vom 16.11.2020 lädt der Verwalter zu einer Versammlung am 16.12.2020 in das Verwalterbüro ein (dort haben nur 20 Personen Platz). Der Verwalter bittet die Wohnungseigentümer dringend, nicht persönlich zu erscheinen, sondern eine weisungsgebundene Stimmrechtsvollmacht zu erteilen. In der Versammlung wird die Jahresabrechnung nach § 28 Abs. 5 WEG a. F. genehmigt. Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Er hält die Ladung schon für formal nicht ordnungsmäßig. Im Übrigen sei die Versammlung nicht beschlussfähig gewesen.
Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat Erfolg! Zwar sei die Versammlung nach § 47 WEG beschlussfähig gewesen. Die dringende Bitte, nicht persönlich zu erscheinen, sondern eine weisungsgebundene Stimmrechtsvollmacht zu erteilen, und das Abhalten der Versammlung in einem Raum, der nur für den Aufenthalt von 20 Personen bei einer Gemeinschaft mit 150 Eigentümern geeignet war, führe aber zur Annahme eines formalen Beschlussmangels. Zwar unterfalle die Auswahl und Festlegung des Versammlungsortes und der Versammlungsstätte bei Fehlen einer Vereinbarung dem Ermessen des Einberufenden. Jedoch müssten Versammlungsort und -stätte so beschaffen sein, dass eine ordnungsgemäße Durchführung gewährleistet und allen Wohnungseigentümern die Teilnahme möglich sei (Hügel/Elzer, WEG 3. Aufl. 2021, § 24 Rn. 19). Letzteres könne nicht angenommen werden. Der Verwalter habe nicht nur von der persönlichen Teilnahme abgeraten, sondern die persönliche Teilnahme sei allen Wohnungseigentümern allein schon aufgrund der Auswahl des Versammlungsortes gar nicht möglich gewesen. Es gelte hier die Vermutung, dass ein Beschluss auf einem formellen Mangel beruhe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass K bei Durchführung einer Präsenzveranstaltung mit einem Hinweis darauf, die Jahresabrechnung sei rechnerisch nicht schlüssig gewesen, andere Wohnungseigentümer zu einem anderen Abstimmungsverhalten veranlasst hätte.
Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es zum einen um eine Vereinbarung zur Beschlussfähigkeit der Versammlung und die Frage, ob diese Vereinbarung noch anwendbar ist. Zum anderem geht es um die Frage, wie angesichts der COVID-19-Beschränkungen zu laden ist.
Vereinbarungen zur Beschlussfähigkeit
Vereinbarungen, die vor dem 1.12.2020 getroffen wurden und die von solchen Vorschriften dieses Gesetzes abweichen, die durch das WEMoG vom 16.10.2020 (BGBl. I S. 2187) geändert wurden, stehen der Anwendung dieser Vorschriften in der vom 1.12.2020 an geltenden Fassung nicht entgegen, soweit sich aus der Vereinbarung nicht ein anderer Wille ergibt. Eine solche Vereinbarung ist eine Vereinbarung, die an die Beschlussfähigkeit der Versammlung besondere Anforderungen knüpft. Sie ist daher, wie es das AG zu Recht entschieden hat, nicht anwendbar, sofern nicht zweifelsfrei feststeht, dass die Vereinbarung bestehen bleiben soll. Bei einer Vereinbarung, die wörtlich und sinngemäß § 25 Abs. 3, Abs. 4 WEG a. F. wiederholt (diese lauteten: Die Versammlung ist nur beschlussfähig, wenn die erschienenen stimmberechtigten Wohnungseigentümer mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile, berechnet nach der im Grundbuch eingetragenen Größe dieser Anteile, vertreten. Ist eine Versammlung nicht gemäß Absatz 3 beschlussfähig, so beruft der Verwalter eine neue Versammlung mit dem gleichen Gegenstand ein. Diese Versammlung ist ohne Rücksicht auf die Höhe der vertretenen Anteile beschlussfähig; hierauf ist bei der Einberufung hinzuweisen.), ist dies nicht anzunehmen.
Versammlung und COVID-19-Pandemie
Die COVID-19-Pandemie ist kein Grund, keine Versammlung abzuhalten. Ob der Verwalter zu einer Versammlung einladen muss und nach Ablauf der Jahresfrist einem Ersuchen der Wohnungseigentümer oder des Verwaltungsbeirats nachkommen muss, richtet sich allein danach, ob eine Einladung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Was gilt, kann sich von Landkreis zu Landkreis unterscheiden. Der Verwalte...