Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Abwassergebühr für Schmutz- und Niederschlagswasser darf in Baden-Württemberg nicht mehr allein nach Wasserverbrauch (Frischwasser-Maßstab) berechnet werden.
Normenkette
§ 14 KAG 2009 – BW; Art. 3 Abs. 1 GG
Kommentar
Die Gemeinden in Baden-Württemberg dürfen bei der Berechnung der Abwassergebühren sowohl für die Ableitung von Schmutz- als auch von Niederschlagswasser nicht mehr den sog. (einheitlichen) Frischwasser-Maßstab zugrunde legen. Bislang war es nach Abwassersatzungen in kleineren Gemeinden in Baden-Württemberg üblich, dass die Abwassergebühr für die Ableitung von Schmutz- und Niederschlagswasser nach der Abwassermenge bemessen wird, die auf den an die öffentlichen Abwasseranlagen angeschlossenen Grundstücken anfällt. Dabei galt als angefallene Abwassermenge der für das Grundstück ermittelte Wasserverbrauch. Die Erhebung einer nach dem Frischwasser-Maßstab berechneten einheitlichen Abwassergebühr für Schmutz- und Niederschlagswasser verstößt auch bei kleineren Gemeinden gegen den Gleichheitssatz sowie das Äquivalenz-Prinzip (unter Aufhebung bisher abweichender Rechtsprechung des VGH).
In die Kanalisation eingeleitetes Schmutzwasser entspreche zwar im Regelfall der Menge des Frischwasserbezugs. Beim Niederschlagswasser gebe es einen solchen Zusammenhang aber grundsätzlich nicht. Der Frischwasserverbrauch lasse nämlich keinen verlässlichen Rückschluss darauf zu, wie viel Niederschlagswasser von dem betreffenden Grundstück in die öffentliche Abwasseranlage gelange. Ein Frischwasserverbrauch sei regelmäßig bei Wohnbebauungen personen- und bei Gewerbegrundstücken produktionsabhängig, während die Menge des eingeleiteten Niederschlagswassers im Wesentlichen durch die Größe der versiegelten Grundstücksflächen bestimmt werde. Auch bei Einfamilienhausgrundstücken sei von uneinheitlichen Haushaltsgrößen auszugehen und damit auch von unterschiedlichem Wasserverbrauch.
Da der Anteil der Kosten für die Entsorgung des Niederschlagswassers an den Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung auch nicht als geringfügig anzusehen sei, müssten Gemeinden nun statt einer einheitlichen Abwassergebühr eine Schmutzwasser- und eine Niederschlagswassergebühr mit unterschiedlichen Gebührenmaßstäben (sog. gesplittete Abwassergebühr) erheben.
Revision wurde nicht zugelassen (bei bestehender Beschwerde hiergegen).
Die Leitsätze der Entscheidung lauten:
- Die Erhebung einer nach dem Frischwasser-Maßstab berechneten einheitlichen Abwassergebühr für die Schmutz- und Niederschlagswasserversorgung verstößt auch bei kleineren Gemeinden in aller Regel gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie das Äquivalenzprinzip.
- Die sich auf § 9 Abs. 2 Satz 4 KAG 1996 beziehende Rechtsprechung des Senats (Urteil v. 27.1.2003, VBlBW 2003 S. 322), wonach diese Regelung nicht die Korrektur fehlerhafter Gebührenkalkulation bezwecke, sondern nur solche Kostenunter- und Kostenüberdeckungen betreffe, die aus Prognoseirrtümern resultieren, kann auf § 14 Abs. 2 Satz 2 KAG 2009 nicht übertragen werden.
Link zur Entscheidung
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.03.2010, 2 S 2938/08