rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwassergebühr. Äquivalenzprinzip. Gleichheitssatz. Grundsatz der Typengerechtigkeit. einheitlicher Frischwassermaßstab. gesplittete Abwassergebühr. homogene Siedlungsstruktur. Niederschlagswasserentsorgung. Unterdeckung. Ausgleich. Kalkulationsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erhebung einer nach dem Frischwassermaßstab berechneten einheitlichen Abwassergebühr für die Schmutz- und Niederschlagswasserentsorgung verstößt auch bei kleineren Gemeinden in aller Regel gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie das Äquivalenzprinzip.
2. Die sich auf § 9 Abs. 2 Satz 4 KAG 1996 beziehende Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.01.2003 – 2 S 2587/00 – VBlBW 2003, 322), wonach diese Regelung nicht die Korrektur fehlerhafter Gebührenkalkulationen bezwecke, sondern nur solche Kostenunter- und Kostenüberdeckungen betreffe, die aus Prognoseirrtümern resultieren, kann auf § 14 Abs. 2 Satz 2 KAG 2009 nicht übertragen werden.
Normenkette
KAG a.F. § 9; KAG § 14 Abs. 2 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 06.05.2008; Aktenzeichen 1 K 1636/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 6. Mai 2008 – 1 K 1636/07 – geändert: Der Abwassergebührenbescheid der Beklagten vom 26.01.2000 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 10.07.2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks … in …. Durch Abgabenbescheid vom 26.01.2000 zog ihn die Beklagte – eine Gemeinde mit etwa 6.200 Einwohnern – unter Zugrundelegung des in der einschlägigen Satzung über die öffentliche Abwasserbeseitigung vom 10.12.1992 (im Folgenden: AbwS) vorgesehenen modifizierten Frischwassermaßstabs zu einer Abwassergebühr für das Jahr 1999 in Höhe von 256,20 DM heran. Dabei legte die Beklagte eine eingeleitete Abwassermenge (= bezogene Frischwassermenge) von 61 m3 und einen Gebührensatz von 4,20 DM/m3 Abwasser zugrunde.
Die einschlägigen Regelungen der Satzung lauten wie folgt: Die Gemeinde erhebt für die Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen eine Abwassergebühr (§ 32 AbwS). Schuldner der Abwassergebühr ist der Grundstückseigentümer (§ 33 Abs. 1 Satz 1 AbwS). Die Abwassergebühr wird nach der Abwassermenge bemessen, die auf dem an die öffentlichen Abwasseranlagen angeschlossenen Grundstück anfällt (§ 34 Abs. 1 AbwS). Als angefallene Abwassermenge gilt bei öffentlicher Wasserversorgung – wie hier – der der Entgeltberechnung zugrunde gelegte Wasserverbrauch (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 AbwS). Für Abwasser, das zu einer öffentlichen Abwasserbehandlungsanlage gebracht wird, beträgt die Gebühr 4,20 DM/m3 Abwasser (§ 37 Abs. 3 AbwS).
Gegen den Bescheid vom 26.01.2000 erhob der Kläger am 28.02.2000 Widerspruch. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens nahm die Beklagte eine Nachkalkulation der Abwassergebühr für die Gebührenjahre 1999 bis 2005 vor. Die Nachkalkulation für das Jahr 1999 (Stand: Oktober 2006) ergab – ohne Ausgleich von Vorjahresergebnissen – einen kostendeckenden Gebührensatz in Höhe von 3,87 DM/m3 Abwasser. Auf Grundlage dieser Nachkalkulation beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 09.11.2006 rückwirkend zum 01.01.1999 wiederum einen Gebührensatz von 4,20 DM/m3 Abwasser für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.1999. Dabei brachte die Beklagte die von ihr ermittelte Kostenunterdeckung des Jahres 1994 sowie einen Teil der ermittelten Kostenunterdeckung des Jahres 1995 im Gebührenjahr 1999 zum Ausgleich, um zum gleichen Gebührensatz von 4,20 DM/m3 Abwasser zu gelangen, wie er den Bescheiden für das Gebührenjahr 1999 zugrunde gelegt worden war.
Den Widerspruch des Klägers gegen den Abgabenbescheid vom 26.01.2000 wies das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2007 zurück.
Der Kläger hat am 10.08.2007 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben. Dem Antrag des Klägers, den Abwassergebührenbescheid der Beklagten vom 26.01.2000 sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 10.07.2007 aufzuheben, ist die Beklagte entgegengetreten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 06.05.2008 abgewiesen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte für Grundstücke, die – wie dasjenige des Klägers – an die öffentlichen Abwasseranlagen angeschlossen seien, als Gebührenmaßstab den sogenannten Frischwassermaßstab verwende. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sei der Frischwasserbezug jedenfalls dann zur Erfassung auch der Menge des abgeleiteten Niederschlagswassers geeignet, wenn nach den Verhältnissen im Satzungsgebiet im Durchschnitt der Veranlagungsfälle ein Wahrscheinlichkeitszusammenhang zwischen beiden Wassermengen derart bestehe, dass der Wasserbezug auf einem Grundstück der Zahl der Bewohner und diese wied...