Leitsatz
Zentrales Problem dieser Entscheidung war die Frage, welche Voraussetzungen an einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Haager Kindesentführungsabkommens vom 25.10.1980 zu stellen sind.
Sachverhalt
Die Parteien hatten im August 1997 in Kanada geheiratet. Der Ehemann war Kanadier, die Ehefrau Französin. Sie lebten mit ihren in den Jahren 2001 und 2002 geborenen Kindern in Kanada.
Im Winter 2005/2006 erwogen sie die Möglichkeit eines Umzuges nach Deutschland. Die Ehefrau hatte die Aussicht, bei einer Firma in Deutschland angestellt zu werden. Der Ehemann bewarb sich europaweit um verschiedene Stellen. Nachdem die Ehefrau die Zusage ihres zukünftigen Arbeitgebers aus Deutschland erhalten hatte, reiste sie mit den Kindern zunächst zu einem kurzen Aufenthalt nach Frankreich und von dort aus in die Bundesrepublik Deutschland, wo die Kinder seit September 2007 eine Schule bzw. eine Vorschule besuchten.
Im September 2007 wurde die vorgesehene Planung in Frage gestellt. Der Ehemann teilte seiner Frau mit, er sei mit einem weiteren Aufenthalt der Kinder in Deutschland nicht einverstanden und forderte sie zur Rückkehr auf. Zwischenzeitlich hatte er in Kanada einen Ehescheidungsantrag eingereicht.
Mit dem am 21.1.2008 beim AG eingegangenen Antrag hat der Ehemann die Herausgabe der Kinder zur Rückführung nach Kanada beantragt und sein Begehren damit begründet, die Ehefrau halte die Kinder widerrechtlich in Deutschland zurück. Sie habe sich einseitig zur Trennung entschlossen. Zwar habe er ursprünglich der Übersiedlung nach Deutschland zugestimmt. Diese Zustimmung habe unter der Bedingung gestanden, dass die Ehe fortgeführt werde. Er sei durch seine Frau getäuscht worden, die offenbar ein Verhältnis zu einem Arbeitskollegen aufgenommen habe.
Die Ehefrau trat dem Antrag entgegen.
Das AG hat den Antrag auf Herausgabe der Kinder zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der Ehemann mit der sofortigen Beschwerde.
Sein Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das OLG teilte die Auffassung des AG, das zu Recht die Anordnung der Herausgabe der Kinder gemäß Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ abgelehnt habe. Die Kinder würden von der Ehefrau nicht widerrechtlich in der Bundesrepublik Deutschland zurückgehalten. Nach Art. 3 Abs. 1 HKiEntÜ gelte das Zurückhalten eines Kindes dann als widerrechtlich, wenn dadurch das nach dem Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts bestehende oder tatsächliche Sorgerecht verletzt werde. Eine Sorgerechtsverletzung liege jedoch weder nach dem Recht der entsprechenden kanadischen Provinz noch nach deutschem Recht vor. Der Umstand des Aufenthalts der Kinder in Deutschland beruhe auf dem gemeinsamen Willen der Eltern. Der "gewöhnliche Aufenthalt" werde dabei durch den Mittelpunkt der Lebensführung gekennzeichnet. Er könne auch schon vor Ablauf von 6 Monaten begründet werden.
Der Vater dürfe sich von der ursprünglich getroffenen Vereinbarung nicht einseitig lossagen. Der Verbleib der Kinder in der Bundesrepublik werde nicht dadurch nachträglich rechtswidrig, dass er nicht - wie zunächst vorgesehen - in die Bundesrepublik Deutschland umziehe.
Dass die ursprüngliche Vereinbarung unter einer stillschweigend vereinbarten Bedingung oder Befristung zustande gekommen sei, könne ebenso wenig angenommen werden wie eine von der Ehefrau ausgegangene Täuschung.
Der Fortbestand der ehelichen Gemeinschaft stelle letztendlich ein Risiko dar, dass von der gesamten Familie mitgetragen werden müsse. Nachdem der Ehemann zunächst einem Umzug der Kinder zugestimmt habe, könnten weder eine Trennung der Eltern noch ein Scheitern ihrer Ehe dazu führen, dass die Kinder nunmehr ihr neues soziales Umfeld erneut aufgeben müssen.
Link zur Entscheidung
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.06.2008, 2 UF 43/08