Leitsatz
Die beteiligten Eltern stritten um die elterliche Sorge für ihren gemeinsamen im Jahre 2004 geborenen Sohn sowie um den Umgang mit ihm.
Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet, hatten aber bis zum Jahre 2006 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt. Im Jahre 2006 trennten sie sich voneinander, das gemeinsame Kind wurde seither von der Mutter betreut. Eine gemeinsame Sorgeerklärung war nicht abgegeben worden.
Anfang Mai 2010 zog die Mutter mit dem Kind nach Spanien, ohne den Kindesvater hierüber zu informieren. Die Abmeldebescheinigung für Mutter und Kind der zuständigen Stadtverwaltung in Deutschland datierte vom 4.5.2010.
Mit Schriftsatz vom 16.9.2010 beantragte der Vater die Zuteilung des alleinigen Sorgerechts für M., hilfsweise des gemeinsamen Sorgerechts. In der daraufhin anberaumten nichtöffentlichen Sitzung des Familiengerichts vom 18.2.2011 trafen die Eltern sodann eine (abändernde) Vereinbarung zum Umgangsrechts des Vaters mit dem Sohn. Mit Schriftsatz vom 16.5.2011 beantragte der Vater, diese Umgangsvereinbarung abzuändern.
Das Familiengericht hat sowohl den Sorgerechtsantrag des Vaters als auch den Antrag auf Abänderung des Umgangs zurückgewiesen.
Hiergegen wandte er sich mit der Beschwerde, die zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führte.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG hob den erstinstanzlichen Beschluss auf, da es nach seiner Auffassung an der vorauszusetzenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte fehlte.
Nach Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, der sog. Brüssel-IIa-Verordnung, seien für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung beträfen, die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Nach Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Brüssel IIa-Verordnung umfasse die "elterliche Verantwortung" im vorgenannten Sinne sowohl das Sorge- als auch das Umgangsrecht.
Das Kind sei mit der Mutter zu Beginn des Monats Mai 2010 von Deutschland nach Spanien verzogen. Mithin habe es dort bereits seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, als Mitte September 2010 der Sorgerechtsantrag des Vaters anhängig wurde. Das internationale Kindschaftsrecht definiere den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Abzustellen sei auf den Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes, also auf seine Einbindung in die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse und auf seine soziale Integration.
Für den zum Zeitpunkt des Umzugs knapp sechsjährigen Jungen seien des Weiteren der Umfang und die Intensität der Beziehung zu Familienangehörigen von besonderem Gewicht. Die Mutter sei in der Vergangenheit und auch jetzt die Hauptbezugsperson des Kindes, auch wenn es starke Bindungen zum Vater habe.
Nach einem Umzug werde weitgehend die Auffassung vertreten, dass durchgängig von einem neuen gewöhnlichen Aufenthalt bei einer Dauer von sechs Monaten an dem neuen Wohnort auszugehen sei, wobei sich Abweichungen - längere oder kürzere Dauer reichten - besonders rechtfertigen müssten.
Letztlich seien die Verhältnisse im Einzelnen entscheidend. Für das OLG jedenfalls stand fest, dass sich der Daseinsschwerpunkt des Kindes Mitte September 2010 bereits nach Spanien verlagert hatte. Selbst Art. 9 VO (EG) Nr. 2201/2003 lege eigene Zuständigkeiten für Umgangsentscheidungen bei den Gerichten des Ausgangsstaates nur für eine Übergangszeit von drei Monaten fest. Besondere Vereinbarungen nach Art. 9 VO (EG) Nr. 2201/2003 hätten die Beteiligten nicht getroffen. Sonstige Anhaltspunkte für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte seien nicht erkennbar.
Link zur Entscheidung
OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.2012, 17 UF 338/11