Zusammenfassung
Auf Grund größerer Sachnähe obliegt einem AG-Vorstand bei Streitigkeiten über seine Haftung die Beweislast. Wird sein Erbe in Anspruch genommen, gilt der Sinn und Zweck der Beweislastregelung nicht mehr. Daher sollten für den Erben die allgemeinen Regeln gelten, was ein neues Urteil anschaulich darstellt.
Hintergrund
Nachdem sich die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Phase befand, sollten weitere Geschäftsfelder als neues Standbein erschlossen werden. In diesem Zuge stimmte der Aufsichtsrat der Klägerin unter Forderung einiger Ergänzungen einem unter anderem vom mittlerweile verstorbenen Alleinvorstand der Klägerin vorgestellten Vorhaben zu, Vereinbarungen über ein Joint Venture abzuschließen.
Den Forderungen kam der Alleinvorstand nicht nach. Vielmehr unterzeichnete er die Verträge insbesondere ohne eine Due-Diligence-Prüfung hinsichtlich des geplanten Vertragspartners, der von diesem einzubringenden Projekte oder der Überprüfung der Finanzierungsunterlagen für die beabsichtigten Projekte. Schlussendlich scheiterte das Joint-Venture.
Nach dem Tod des Alleinvorstands streiten die Parteien nun um die Haftung des Beklagten als dessen Erben aufgrund von sorgfaltswidrigen Pflichtverletzungen des Alleinvorstands. Er habe die Joint Venture-Verträge und die Einschaltung von mehreren Beratern so nicht vornehmen dürfen, das sei unter keinem Gesichtspunkt im Interesse der Gesellschaft gewesen. Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben, da die Klägerin die Sorgfaltswidrigkeit nicht für alle Umstände habe beweisen können.
Das Urteil des OLG Köln (18. Zivilsenat) v. 1.10.2019, 18 U 34/18
Das OLG Köln änderte das Urteil des Landgerichts vor dem Hintergrund einer anderen Auslegung der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Beklagten ab. Es betonte, dass sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ergebe, dass sowohl der Abschluss der Verträge als auch die Einschaltung von mehreren Beratern Pflichtverletzungen des Erblassers darstellten. Diese führten auch zu Schäden bei der Klägerin. Aufgrund der wirtschaftlichen Tragweite der beabsichtigten Neuausrichtung der Klägerin habe der Vorstands auch nicht vernünftigerweise annehmen dürfen, auf Grundlage angemessener Information zu handeln (denn dann hätte er nach der sog. "Business Judgement Rule" nicht gehaftet, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Eine zentrale Weichenstellung des Urteils ist, dass das OLG den Beklagten für darlegungspflichtig hält, Gründe für eine nicht vorliegende Verletzung der Vorstandspflichten vorzutragen. Der Beklagte habe in Erwiderung auf den von der Klägerin dargestellten Sachverhalt keine konkreten Umstände dargelegt, warum der Vorstand keine Pflichtverletzung begangen habe. Der Beklagte habe bspw. Einsicht in alle in diesem Zusammenhang stehenden Geschäftsunterlagen verlangen können, um seiner Darlegungspflicht nachzukommen. Darüber hinaus stünde der Erbe bei einer anderen Betrachtung besser als der Erblasser, was nicht mit dem Gläubigerschutz zu vereinbaren wäre.
Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast leitet das OLG schon aus den allgemeinen Grundsätzen her, wonach der jeweils Beklagte auf konkrete Vorwürfe im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Information konkret erwidern muss. Auf die Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach den Vorstand bei Pflichtverletzungen und Beachtung der Sorgfalt die Beweislast treffe, komme es daher nicht an.
Das Urteil des OLG ist überzeugend und zeigt klar auf, dass die Beweislastregel nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG in Fällen greift, bei denen es hinreichende Argumente für und gegen eine Pflichtwidrigkeit gibt. Liegen dagegen keine Rechtfertigungsgründe für ein Verhalten vor, ist der Vorstand (oder seine Erben) schon nach allgemeinen Grundsätzen zur Darlegung dieser Gründe verpflichtet.
Bestehen aber hinreichende Gründe für und gegen ein pflichtwidriges Verhalten, ist der Vorstand für seine Entlastung beweisbelastet. Hier ist es auf Grund der Sachnähe des Vorstands auch angemessen, (nur) ihm die Beweislast aufzubürden.
Im Todesfall müsste dann der Kläger die Pflichtverletzung und Sorgfaltswidrigkeit beweisen, weil der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG (die größere Sachnähe des Vorstands gegenüber der Gesellschaft) hier nicht mehr vorliegt – ob die Rechtsprechung das auch so sieht, ist derzeit aber offen.
Jeder Vorstand sollte daher kritische Entscheidungen einerseits selbst prüfen und dem Aufsichtsrat vorlegen (auch, wenn ihn dies nicht entlastet), andererseits auch die Gründe und Abwägung seiner Entscheidung gut dokumentieren. Oft hilft es für die Entlastung eines Vorstands, externe qualifizierte Beratung zur Vorbereitung der Entscheidung einzuholen.