Rz. 12
Die Entscheidung über die Bewilligung, Verlängerung oder Verkürzung der Räumungsfrist steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es hat dabei die Interessen der beteiligten Parteien aufgrund des vorgetragenen und gegebenenfalls nachgewiesenen Sachverhalts sorgfältig gegeneinander abzuwägen (OLG Hamm, NJW-RR 1995, 526 = WiB 1995, 444 m. Anm. Nerlich). Maßgeblich sind und können immer nur die Umstände des Einzelfalls sein. Allgemeine Grundsätze können nicht aufgestellt werden. Das Gericht hat bei der Sachentscheidung immer den Zweck der Räumungsfrist im Auge zu behalten: Der Schuldner soll nach Möglichkeit vor dem Dasein als Obdachloser bewahrt werden und die Möglichkeit erhalten, sich um eine Ersatzwohnung zu bemühen, sofern und soweit eben nicht die Interessen des Gläubigers dem entgegenstehen. Hat der zur Räumung verurteilte Mieter nicht substantiiert vorgetragen, dass er sich hinreichend und in zumutbarem Maße um Ersatzwohnraum bemüht habe, so reicht der allgemeine Verweis auf die Einschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht aus, um den strengen Anforderungen bezüglich der Verlängerung einer Räumungsfrist gerecht zu werden (AG Frankfurt, MietRB 2020, 305; vgl. auch: LG Berlin, ZMR 2020, 508; LG Berlin, ZMR 2020, 750).
Rz. 13
Zugunsten des Gläubigers kann dabei etwa ins Gewicht fallen, dass er selbst die Wohnung als Werkswohnung dringend benötigt, um für den Schuldner, der sein Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hatte, eine Ersatzkraft zu finden; dass er selbst oder nahe Angehörige, die die Wohnung beziehen sollen, obdachlos würden; dass er oder andere Mitbewohner des Hauses vom gewalttätigen Schuldner körperliche Beeinträchtigungen befürchten müssen. Der Gläubiger kann sich allerdings nicht darauf berufen, er habe die Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt weitervermietet, denn mit der Bewilligung einer Räumungsfrist muss er rechnen (AG Starnberg, WuM 1980, 204), u. U. sogar mit der Verlängerung einer bewilligten Räumungsfrist (LG Kassel, WuM 1989, 443). Zahlt der Mieter auch nach Erlass eines Räumungsurteils keine Nutzungsentschädigung, kommt die Bewilligung einer Räumungsfrist nur im Ausnahmefall in Betracht. Dass noch zahlreiche Familienangehörige von der Räumung betroffen sind, reicht nicht aus (LG Berlin, Grundeigentum 2007, 1253). Für den Vermieter ist die Gewährung einer Räumungsfrist grundsätzlich unzumutbar, wenn die Zahlung der laufenden Miete/Nutzungsentschädigung für die Dauer der Räumungsfrist nicht gewährleistet ist (LG Tübingen, WuM 2015, 566; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 15 = WuM 2006, 530 = NZM 2006, 880). Beruht die Räumungspflicht auf einem Verschulden des Mieters, konnte sich dieser bereits 12 Wochen nach dem erstinstanzlichen Räumungsurteil auf eine Räumungspflicht einstellen und trägt er des weiteren kein intensives Bemühen um eine angemessene Ersatzwohnung vor, ist keine Räumungsfrist zu gewähren (LG Münster, WuM 2007, 19). Eine Räumungsfrist kann bei einer vorherigen Gefährdung der Mietsache durch den Mieter nicht gewährt werden (LG Konstanz, WuM 2018, 201). Auch demjenigen Mieter nicht, der gegenüber Handwerkern des Vermieters beleidigende Verbalattacken startet, andere Mieter beleidigt und im Beisein Minderjähriger Fäkalsprache etc. aus der untersten Schublade benutzt (AG Hamburg-Blankenese, ZMR 2016, 783). Auch bei einem ungenehmigten Einzug der Mieter kann diesen keine Räumungsfrist bewilligt werden (AG München, Urteil v. 25.4.2018, 433 C 777/18).
Rz. 14
Zugunsten des Schuldners kann dabei etwa ins Gewicht fallen, dass objektiv Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt bestehen, eine Ersatzwohnung anzumieten; dass das Mietverhältnis bis zu dessen Auflösung ungewöhnlich lange gedauert hat; dass er nur ein geringes Einkommen hat; dass feststeht, dass innerhalb der Frist sein eigenes Wohnhaus fertig gestellt ist; sein Alter, sowie die langjährige Mietdauer (AG Hamm, DWW 2009, 104) und ein zweimaliges Umziehen innerhalb kurzer Zeit vermieden werden kann. Auch bei einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses und einer Anerkenntnis des Mieters/Räumungsschuldners bezüglich der Räumung und Herausgabe der Wohnung, kann das Gericht dem Mieter/Räumungsschuldner noch eine gewisse Räumungsfrist gewähren.
Rz. 15
Bei der Interessenabwägung können die unterschiedlichsten persönlichen Verhältnisse der Parteien, wie z. B. Alter, Gesundheit (LG Köln, ZMR 2016, 705), Familienverhältnisse, Schwangerschaft, soziales Umfeld und berufliche Gegebenheiten, zu berücksichtigen sein. Auch die Eigenschaft des Schuldners als Rollstuhlfahrer (LG Oldenburg, ZMR 2012, 955). Im Rahmen der nach § 721 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es im Falle der Entscheidung über eine Verlängerung der Räumungsfrist darauf an, ob der Mieter die laufende Miete bzw. Nutzungsentschädigung entrichtet, sich hinreichend um Ersatzwohnraum bemüht bzw. in absehbarer Zeit eine Wohnung finden wird, so dass andere weniger gewichtige Gläubigerinteressen zurückstehen können (LG Berlin, Grundeigentum 201...