1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die Bestimmung ist eine Regelung des Schuldnerschutzes, dient nicht der Verlängerung von Mietverhältnissen, sondern soll als Vollstreckungshindernis Räumungsschutz gewähren. Sie bewirkt eine besondere Vollstreckungsvoraussetzung im Sinne des § 751 Abs. 1 ZPO, die zeitweise die Räumungsvollstreckung hindert, und soll dem Schuldner die Beschaffung einer Ersatzwohnung ermöglichen (MünchKomm/ZPO-Götz, § 721 Rn. 1).
Rz. 2
Bei der Verurteilung zur Räumung von Wohnräumen, der dem Schuldner, seinen Familienangehörigen und sonstigen Hausgenossen dient, kann das Gericht von Amts wegen – selbst bei Säumnis des Beklagten (LG Köln, NJW-RR 1987, 143) und im Falle des § 345 ZPO (LG München I, WuM 1982, 81) – oder auch auf Antrag des Schuldners eine angemessene Räumungsfrist gewähren. Nach einem Teil-Anerkenntnisurteil des Mieters/Räumungsschuldners hinsichtlich der Räumung und Herausgabe der Wohnung und dem Ausspruch eines Teil-Anerkenntnisurteils kann die Entscheidung des Gerichts über die beantragte Gewährung einer Räumungsfrist nur in einem End-Anerkenntnisurteil erfolgen (§§ 313b, 721 ZPO; AG Brandenburg, Urteil v. 10.9.2018, 31 C 34/18 – Juris). Auch bei einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses und einem Anerkenntnis des Mieters/Räumungsschuldners bezüglich der Räumung und Herausgabe der Wohnung, kann das Gericht dem Mieter/Räumungsschuldner noch eine gewisse Räumungsfrist gewähren (AG Brandenburg a. a. O.). Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmung dem Gericht lediglich die Möglichkeit einräumt, eine Räumungsfrist zu gewähren, um damit denjenigen Fällen gerecht zu werden, in denen erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Räumungsschuldner eine Räumungsfrist benötigen wird. Sinn des Gesetzes ist es dagegen nicht, in jedem Falle eine Entscheidung des Gerichts betreffend die Bewilligung einer Räumungsfrist zu veranlassen, auch wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine solche Entscheidung benötigt wird (AG Hamburg-Blankenese, ZMR 2010, 695). Vervollständigt wird der Schutz des Schuldners durch die Bestimmung des § 765a ZPO, der auch nach Ablauf der Räumungsfrist in besonders gelagerten Fällen Räumungsschutz bieten kann. Der Schuldner kann allerdings nach Rechtshängigkeit entsprechend § 295 ZPO auf eine eigene Antragstellung wirksam verzichten, weil die öffentlichen Belange durch die Bewilligung der Räumungsfrist von Amts wegen gewahrt bleiben. Im Übrigen verbleibt dem Schuldner im Falle des Verzichts auf Antragstellung nach § 721 ZPO der unverzichtbare Schutz des § 765a ZPO.
2 Anwendungsbereich
2.1 Räumungsurteil
Rz. 3
Nach § 721 Abs. 1 ZPO kann von dem zuständigen Prozessgericht eine Räumungsfrist nur in dem Urteil, in dem auf Räumung erkannt wird, gewährt werden. Zwar kann eine Räumungsfrist auch noch im Revisionsurteil ausgesprochen werden (BGH, NJW 1963, 1307; MünchKomm/ZPO-Götz, § 721 Rn. 4). Die isolierte Gewährung einer Räumungsfrist sieht das Gesetz nur in einer auf zukünftige Räumung erkennenden Entscheidung (§ 721 Abs. 2 ZPO) vor (BGH, WuM 2014, 354). Die Vorschrift ist nur anwendbar bei Urteilen, die auf die Räumung von Wohnraum lauten, auch wenn die Kündigung durch den Schuldner erfolgte oder es sich nicht um eine Mietstreitigkeit handelt (z. B.: der Eigentümer verlangt Räumung und Herausgabe nach § 985 BGB). Bei anderen Räumungstiteln ist die Vorschrift nicht anwendbar; insbesondere nicht gegenüber einem Zuschlagsbeschluss nach § 93 ZVG (LG Hamburg, MDR 1971, 671), bei einstweiligen Verfügungen nach § 940a ZPO (LG Hamburg, NJW-RR 1993, 1233), einem Insolvenzeröffnungsbeschluss nach den §§ 26, 27 InsO, einem Beschluss nach § 148 Abs. 2 InsO, und schließlich auch nicht gegenüber einem Räumungsvergleich. Beim Räumungsvergleich allerdings gilt die Bestimmung des § 794a ZPO, der eine vergleichbare Regelung trifft (siehe dort). Im Rahmen von Entscheidungen in Ehewohnungssachen (§§ 1361b, 1568a BGB; §§ 200ff. FamFG) ist die Bestimmung ebenfalls nicht anwendbar. Gleiches gilt für Gewaltschutzsachen, in denen die Räumung angeordnet ist. Insoweit sind grundsätzlich Regelungen über die Modalitäten der Räumung, auch im Hinblick auf die Einräumung einer Räumungsfrist, im Rahmen des § 215 FamFG möglich. Allerdings ist nach § 216 FamFG der sofortige Auszug des Antragsgegners die Regel, weshalb eine Räumungsfrist grundsätzlich auch nach § 215 FamFG nicht zu bewilligen sein wird. Schließlich ist auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung auf Räumung der Wohnung durch den Ehestörer die Bestimmung nicht anwendbar (vgl. zu den Räumungen im Rahmen des FamFG ausführlich: Schuschke, NZM 2010, 137). Einzig in einem Verfahren der Schwiegereltern gegen das Schwiegerkind dürfte über § 120 FamFG die Bestimmung anwendbar sein, weil hier eine große familienrechtliche Nähe der Beteiligten, entgegen der Einordnung als sonstige Familiensache gem. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, nicht besteht und es sich, falls die Schwiegereltern die Räumung durch das Schwiegerkind begehren, eher um einen "normalen Räumungsprozess" handelt (vgl. Schuschke a. a....