1 Allgemeines
Rz. 1
Die Bestellung eines Nießbrauchs ist nach den Vorschriften des BGB sowohl an einzelnen Sachen (§§ 1030 bis 1067 BGB), an Rechten (§§ 1068 bis 1084 BGB), an einem Vermögen (§§ 1085 bis 1088 BGB) oder an einer Erbschaft (§ 1089 BGB) möglich. Der Nießbraucher ist berechtigt, die Nutzungen der Sache zu ziehen (§ 1036 BGB), darf die Sache besitzen (§ 1036 BGB) und die belastete Forderung einziehen (§ 1074 BGB). Über die Sache selbst oder das Recht darf er aber in der Regel nicht verfügen. Diese Befugnis bleibt beim Besteller bzw. beim Eigentümer der Sache oder des Rechts. Besteller und Nießbraucher können damit über wirtschaftliche Werte verfügen. Das kann für den Gläubiger von Interesse sein. Hier setzen die Regelungen der §§ 737, 738 ZPO an und versuchen einen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu schaffen:
Rz. 2
Für den Bereich der Zwangsvollstreckung ergänzen die beiden Vorschriften die §§ 1086, 1089 BGB. Sie sind nur dann anwendbar, wenn der Nießbrauch an einem Vermögen oder an einer Erbschaft bestellt worden ist. Die Vorschrift des § 737 ZPO betrifft den Fall der Bestellung vor der Rechtskraft des Titels und die des § 738 ZPO die spätere Bestellung des Nießbrauchs (MünchKomm/ZPO-Heßler, § 737 Rn. 1, 2). Die Bestimmung gilt für die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil oder einem sonstigen Vollstreckungstitel in einen einem Nießbrauch unterliegenden Gegenstand, wenn der Nießbrauch an einem Vermögen (Absatz 1) oder einer Erbschaft (Absatz 2) bestellt wurde. Außerdem muss die gegen den Besteller titulierte Forderung bereits vor der Bestellung des Nießbrauchs begründet worden sein. Bei der Bestellung des Nießbrauchs an einer Erbschaft muss es sich um eine Nachlassverbindlichkeit handeln. Es muss sich um eine Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung und – mit gewissen Einschränkungen – zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen handeln (MüKoZPO/Heßler, § 737 Rn. 3).
2 Grundsatz – Zweck
Rz. 3
Wird an einem Vermögen ein Nießbrauch bestellt (§ 1085 BGB), dann haftet der Nießbraucher grundsätzlich nicht für die Schulden des Bestellers (Ausnahme: § 1088 BGB). Es können jedoch (auch) die persönlichen Gläubiger des Bestellers Befriedigung aus den dem Nießbrauch unterliegenden Gegenständen verlangen, ohne dass ihnen dieses dingliche Recht entgegengehalten werden darf, vorausgesetzt, dass ihre titulierten Forderungen vor der Bestellung des Nießbrauchs entstanden sind (§ 1086 Satz 1 BGB).
Rz. 4
Entsprechend diesem im BGB niedergelegten unmittelbaren Zugriffsrecht der Gläubiger gestattet nun die Vorschrift des § 737 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung in alle dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände demjenigen, der einen Leistungstitel gegen den Besteller (Schuldner), der nicht notwendig Eigentümer des Vollstreckungsobjekts sein muss und einen Duldungstitel gegen den Nießbraucher vorlegen kann. Dies gilt nur dann, wenn der Nießbrauch am ganzen Vermögen (nicht an Teilen des Vermögens, auch nicht an Sondervermögen; Ausnahme: Nachlass nach Abs. 2) des Schuldners bestellt ist und der zu vollstreckende Anspruch vor der Vollstreckung entstanden ist. Der Nießbraucher wird hierdurch selbst Vollstreckungsschuldner und kann der Vollstreckung nicht nach den §§ 809 oder 771 ZPO widersprechen.
3 Kein Duldungstitel
Rz. 5
Eines eigenständigen, zusätzlichen Duldungstitels bedarf es nicht,
- wenn die Verbindlichkeit des Bestellers bei Nießbrauchbestellung nicht nur schon bestand, sondern auch schon rechtskräftig tituliert war (Fall des § 738 ZPO, siehe dort);
- wenn die Verbindlichkeit des Bestellers sich auf eine bestimmte Sache bezieht, hierüber ein Rechtsstreit rechtshängig war (nicht rechtskräftig entschieden), als der Nießbrauch am Vermögen, zu dem auch die streitbefangene Sache zählt, bestellt wurde (MünchKomm/ZPO-Heßler, § 737 Rn. 11). Dann findet § 265 ZPO Anwendung. Liegen die Voraussetzungen des § 325 ZPO vor, kann der Gläubiger zu dem gegen den Besteller erwirkten Titel nach § 727 ZPO vollstreckbare Ausfertigung gegen den Nießbraucher beantragen und die Vollstreckung hinsichtlich der streitbefangenen Sache durchführen (wenn nicht der gute Glaube des Nießbrauchers nach § 325 Abs. 2 und 3 ZPO entgegensteht);
- wenn der Nießbraucher zur Herausgabe bereit und mit der Vollstreckung einverstanden ist (BeckOK ZPO/Ulrici, § 737 Rn. 3.2; a. A. MüKoZPO/Heßler, § 737 Rn. 13.
4 Vollstreckung in die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände
Rz. 6
Der Duldungstitel i. V. m. dem gegen den Besteller erwirkten Leistungstitel berechtigt nur zur Vollstreckung in die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände, nicht aber in das Privatvermögen des Nießbrauchers. Nicht mehr zum Vermögen des Bestellers gehörig sind auch die Früchte, die der Nießbraucher bereits gezogen hat (§§ 100, 99 BGB), sowie als Gebrauchsvorteile i. S. v. § 100 BGB fällige, aber noch nicht eingezogene Miet- und Pachtzinsen, ferner verbrauchbare Sachen (§ 1067 BGB). Hat allerdings der Gläubiger gegen den Nießbraucher wegen dessen persönlicher Schuld nach § 1088 BGB einen Leistungstitel erwirkt, kann er insoweit auch in dessen Privatvermögen die Zwangsvollstreckung betreiben.
5 Immobiliarvollstreckung bei Nießbrauch
Rz....