Rz. 9
Wegen der ganz besonderen Umstände muss die Maßnahme der Zwangsvollstreckung für den Schuldner eine Härte bedeuten, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Eine sittenwidrige Härte ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Zwangsvollstreckung Leben oder Gesundheit des Schuldners ernstlich gefährdet. Ist eine derartige Beeinträchtigung zu befürchten, so ist eine besonders sorgfältige Nachprüfung des entsprechenden Schuldnervorbringens vorzunehmen (BVerfG, a. a. O.). Die Gefährdung muss allerdings mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Das Gericht hat den Einwand jedoch ernst zu nehmen und im Zweifel durch die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens nachzuprüfen (AG Neubrandenburg, Beschluss v. 17.11.2020, 602 M 3395/20, juris; LG Stuttgart Beschluss v. 9.1.2018, 19 T 434/17 – Juris; BVerfG, Rpfleger 1994, 470 = NJW 1994, 1719).
Rz. 10
Die Eigentumsbeeinträchtigung durch den Verlust eines wertvollen und/oder nicht mehr zu beschaffenden Gegenstandes kann nur dann ausnahmsweise eine sittenwidrige Härte für den Schuldner darstellen, wenn der Gläubiger andere Möglichkeiten hat und nicht wahrnimmt, um seinen Anspruch zu befriedigen (OLG Koblenz, Rpfleger 1985, 499; 1986, 62). Das Missverhältnis zwischen beizutreibender Forderung und dem Wert des Vollstreckungsobjekts allein, wenn für den Gläubiger allein keine andere Möglichkeit der Vollstreckung besteht, vermag die sittenwidrige Härte nicht zu begründen (OLG Celle, ZIP 1981, 1005; AG Karlsruhe, DGVZ 1986, 92). Die gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, dass geringwertige Forderungen zu Naturalobligationen würden. Nicht sittenwidrig ist es auch, wenn die Kosten einer Vollstreckungsmaßnahme die beizutreibende Forderung deutlich übersteigen, sofern der Gläubiger keine zumutbare günstigere Möglichkeit der Zwangsvollstreckung hat (LG Wuppertal, NJW 1980, 297). Auch die Tatsache, dass die Schuldnerin im Falle der Ablehnung des Schutzantrages Sozialhilfe beantragen muss, ist kein Umstand, der eine sittenwidrige Härte begründen könnte (PfälzOLG Zweibrücken, JurBüro 2002, 384 = MDR 2002, 720 = InVo 2002, 294; LG Koblenz, JurBüro 2004, 158). Gleiches gilt, wenn die Zwangsvollstreckung über eine lange Zeit (hier: vierzehn Jahre), wegen hoher Beträge (hier: über 50.000 EUR) betrieben wird (LG Münster, InVo 2002, 293). Zum Schutz der Rechtskraft eines Titels können nur Geschehnisse und Entwicklungen, die nach der Rechtskraft eines Ordnungsmittelbeschlusses eingetreten sind, eine unbillige Härte begründen (vgl. OLG Köln, OLGZ 1989, 475), so dass kein anerkennenswertes Schutzbedürfnis besteht, wenn bereits bei Erlass des Ordnungsmittelbeschlusses vorhersehbar war, dass das verhängte Ordnungsgeld vom Schuldner nicht aufzubringen ist (OLG Köln, Beschluss v. 15.7.2010, 19 W 20/10). Die öffentliche Hand allerdings hat bei ihren Vollstreckungen ganz besonders das Übermaßverbot zu beachten, so dass eine Haftvollstreckung, die den Schuldner wegen einer geringen Forderung zur Vermögensoffenbarung zwingen soll, abzubrechen ist, wenn sie nicht in angemessener Zeit zum Erfolge führt (LG Wuppertal, DGVZ 1986, 90). Die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist nicht bereits deshalb eine sittenwidrige Härte, wenn dem Gläubiger wegen bestehender Kenntnis der Vermögenslage des Schuldners das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (LG Essen, FamRZ 2000, 363). Der Umstand, dass dem Schuldner im Falle der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft droht, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme einer mit den guten Sitten unvereinbaren Härte im Sinne von § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH, NJW 2010, 1002 = MDR 2010, 517). Bei der Pfändung von möglichen Steuererstattungsansprüchen bei dem Finanzamt als Drittschuldner handelt es sich nicht um eine unbillige Härte i. S. d. § 765a ZPO, die die Aufhebung der Zwangsvollstreckung ermöglicht, auch wenn der Schuldner ein Arbeitseinkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze bezieht und er mit den möglichen Steuerrückerstattungsansprüchen die Lücke bis zum Höchstfreibetrag ausfüllen möchte (AG Altenkirchen, ZVI 2008, 173). Eine unbillige Härte im Sinne des § 765a ZPO liegt nicht darin, dass eine Partei, der für eine Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe versagt worden ist, diese Rechtsverfolgung deswegen nicht aus eigenen Mitteln fortführen kann, weil Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung auf ihr Vermögen zugegriffen haben (BGH, NJW-RR 2007, 417 = MDR 2007, 551). Haben Mieteinnahmen für den Schuldner Lohnersatzfunktion und werden diese auf ein Konto des Schuldners überwiesen, so kann grundsätzlich kein Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO in den Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO gewährt werden (BGH, NJW 2005, 681; LG Koblenz, JurBüro 2004, 158; Einstellung nur dann, wenn ganz besondere Umstände dargetan sind; a. A. LG Heilbronn, Rpfleger 2003, 202 = InVo 2003, 290). Die Prozessunfähigkeit des Schuldners stellt k...