Rz. 7
Der Vergleich muss sowohl materiell-rechtlich wirksam als auch als Prozessvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen sein; andernfalls hat er keine sachlich-rechtlichen und prozessrechtlichen Wirkungen. Es kann – bei prozessrechtlich ordnungsgemäßen Zustandekommen – an einer wirksamen materiell-rechtlichen Regelung fehlen (z. B. bei Verstoß gegen §§ 134, 138 BGB). Der materiell-rechtliche Teil kann im Übrigen auch anfechtbar sein. Dem materiell-rechtlich unwirksamen (nichtigen) Vergleich bleiben auch die prozessrechtlichen Wirkungen versagt. Er führt nicht zur Beendigung des Rechtsstreits (LAG Hamm, MDR 2003, 713). Umgekehrt verliert der prozessrechtlich unwirksame (nichtige) Vergleich nicht unbedingt seine materiell-rechtlichen Wirkungen. Er kann im Wege der Auslegung des Parteiwillens materiell-rechtlich weiteren Bestand haben (BGH, NJW 1985, 1962). Er ist allerdings kein Titel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Die Nichtigkeit eines Vergleichs müssen der Gläubiger und der Schuldner durch die Fortsetzung des alten Prozesses geltend machen (OLG Nürnberg, Beschluss v. 9.8.2017, 7 UF 1276/16, juris; OLG Bamberg, JurBüro 1987, 1796). Eine solche Fortsetzung kommt nur dann in Betracht, wenn die Wirksamkeit des Vergleichs angegriffen und damit seine verfahrensbeendende Wirkung angezweifelt wird (BGH, MDR 2014, 241 = NJW 2014, 394; OLG Stuttgart, OLG Report Süd 22/2014 Anm. 7). Das – bisherige – Verfahren ist auf Antrag derjenigen Partei, die die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend macht durch Terminsanberaumung fortzusetzen, dass gilt auch dann, wenn die Teilerledigung unstreitig ist (OLG Köln, NJW-RR 1996, 637). Bei der Fortführung des Rechtsstreits ist Streitgegenstand zunächst allein die Frage, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich (vollständig) erledigt wurde. Verneint das Gericht die Erledigung des Rechtsstreits durch den Vergleich, kann insoweit ein Zwischenurteil erlassen werden unter Fortsetzung des Rechtsstreits. Nimmt das Gericht die erledigende Wirkung des Vergleichs indes an, ergeht ein Endurteil das ausspricht, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist. Gleiches gilt für den Streit der Parteien, ob der Vergleich durch Anfechtung rückwirkend seine Wirkung verloren hat. Die Vollstreckbarkeit des Vergleichs wird durch die Fortsetzung des alten Rechtsstreits nicht beeinträchtigt (OLG Frankfurt/Main, MDR 1995, 201). Die prozessbeendende Wirkung des gerichtlichen Vergleichs kann nicht mit der Begründung angegriffen werden, ihm habe die Geschäftsgrundlage gefehlt (BGH, NJW 1986, 1348; zu den Voraussetzungen, unter denen die Abänderung eines Prozessvergleichs über Unterhalt verlangt werden kann: BGH, NJW 1986, 2054). Die Rückforderung von Leistungen, die aufgrund eines nichtigen Prozessvergleichs erbracht worden sind, kann jedenfalls dann im Wege eines neuen Rechtsstreits erfolgen, wenn das Ursprungsverfahren, in dem der Vergleich geschlossen worden ist, rechtskräftig beendet ist (BGH, NJW 2011, 2141 = MDR 2011, 811). Die Unwirksamkeit eines vor einer Schieds-/Gütestelle geschlossenen Vergleichs (§ 15a Abs. 6 Satz 2 EGZPO i. V. m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) kann analog § 767 ZPO mittels einer prozessualen Gestaltungsklage (die sog. Titelabwehrklage) vom Schuldner gerichtlich geltend gemacht werden (AG Brandenburg, Urteil v. 18.12.2020, 31 C 135/19, juris m. w. N.).
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Will der Schuldner allerdings geltend machen, dass aus dem ursprünglich wirksam geschlossenen Vergleich wegen Rücktritts (§§ 326 ff. BGB) oder eines anderen Aufhebungsgrundes (Vertrag) nicht weiter vollstreckt werden dürfe, muss er Klage nach § 767 ZPO erheben (Zöller/Geimer, § 794 Rn. 15c, 15d). § 767 Abs. 2 ZPO findet dann keine Anwendung. Das gilt auch für einen Streit über die Auslegung des Vergleichs (BGH, Rpfleger 1977, 99). Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit des Vergleiches kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO geltend gemacht werden, ohne dass ein Rechtsschutzbedürfnis wegen der Möglichkeit, dies mit der Klauselerinnerung nach § 773, 779 Abs. 3 ZPO zu erreichen, zu verneinen wäre (vgl. BGH, ZIP 2004, 356; NJW 2006, 695). Liegt eine betragsmäßige Unbestimmtheit des titulierten Anspruchs vor, hat der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse daran, die Vollstreckungsfähigkeit dieses Titels zu beseitigen.