Rz. 6
Die Voraussetzungen der Haftfähigkeit prüft der Gerichtsvollzieher von Amts wegen nach eigenem Kenntnisstand. Er hat bei der Beurteilung der Haftfähigkeit strenge Maßstäbe anzulegen. Die Regelungen der §§ 904, 905 ZPO a. F. in der bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung (Unzulässigkeit der Haft bzw. Haftunterbrechung bei Mitgliedern des Bundes- oder eines Landtages) wurden nicht übernommen (BT-Drucks. 10069 S. 28).
Rz. 7
Gegen Mitglieder des Deutschen Bundestages darf schon wegen Art. 46 Abs. 3 GG die Haft nur mit Genehmigung des Deutschen Bundestages vollzogen werden. Auf Verlangen des Deutschen Bundestages ist die Haft gemäß Art. 46 Abs. 4 GG zu unterbrechen. Für die Mitglieder der Länderparlamente befinden sich Regelungen zur Immunität in den Landesverfassungen bzw. Landesverfahrensordnungen (z. B. Artikel 18 der Verfassung des Freistaates Bayern). Die Frage der Vollziehbarkeit eines Haftbefehls gegen Mitglieder einer auf hoher See befindlichen Schiffsbesatzung bedarf keiner gesetzlichen Entscheidung. Ebenfalls nicht übernommen wurde die in § 910 ZPO a. F. geregelte Anzeigepflicht vor der Verhaftung öffentlicher Bediensteter und Geistlicher. Auch hierfür bedarf es – von der praktischen Bedeutungslosigkeit dieser Fälle abgesehen – keiner gesetzlichen Regelung; eine Aufnahme in die GVGA erscheint ausreichend (BT-Drucks. 10069 S. 28).
Rz. 8
Die Regelung verbietet die Haftvollstreckung, wenn durch diese die Gesundheit des Schuldners einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt wäre. Zwar bleibt die Anordnung der Haft zulässig, die Vorführung jedoch nicht (AG Kiel, DGVZ 1979, 78; a. A. AG Elmshorn, DGVZ 1978, 93 = Vollstreckung kann auf die Vorführung beschränkt werden). Insofern ist der Haftbefehl außer Vollzug zu setzen (LG Saarbrücken, DGVZ 2010, 16). Durch die Vollstreckung der Haft und drohender körperlicher oder seelischer (LG Heilbronn, DGVZ 1991, 39) Beeinträchtigung muss mithin ein kausaler Zusammenhang bestehen.
Rz. 9
Bei der Beurteilung der Gesundheitsgefahr ist ein strenger Maßstab anzulegen, sodass auch Haftunfähigkeit die Abgabe der Vermögensauskunft nicht hindert (OLG Hamm, DGVZ 1983, 137; LG Düsseldorf, DGVZ 1980, 38). Der Schuldner ist i. d. R. beweispflichtig, soweit keine Offenkundigkeit vorliegt (LG Göttingen, DGVZ 1981, 10). Diese ist gegeben, wenn äußere Symptome auch für den Laien zwingend auf eine erhebliche einen Haftaufschub gebietende Erkrankung des Schuldners schließen lassen (LG Koblenz, MDR 1972, 790). Haftunfähigkeit liegt z. B. vor, wenn der Vollstreckungsschuldner ständiger ärztlicher Überwachung bedarf und diese Überwachung und die erforderlichen Pflegeleistungen allenfalls in einem Vollzugskrankenhaus durchgeführt werden könnten (OLG Karlsruhe, DGVZ 1993, 8).
Der Gerichtsvollzieher hat von einer Verhaftung abzusehen (obj. Ermessensentscheidung; AG Fürth, DGVZ 1993, 191; OLG Bamberg, DGVZ 1990, 39; LG Hannover, DGVZ 1990, 59), wenn sie aufgrund des Gesundheitszustandes des Schuldners mit lebensbedrohenden Risiken verbunden ist, und zwar auch dann, wenn es dem Schuldner ersichtlich darum geht, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu vermeiden (OLG Düsseldorf, DGVZ 1996, 27). Der Gerichtsvollzieher ist nicht verpflichtet, den von ihm verhafteten und für haftfähig angesehenen Schuldner auf dessen Verlangen zunächst einem Arzt vorzuführen, damit dieser die Haftunfähigkeit bescheinigt (AG Hochheim, DGVZ 1981, 15). Die Haftunfähigkeit muss demnach für den Gerichtsvollzieher erkennbar sein (AG Eschwege, DGVZ 1992, 139).