Rz. 4
Der Schuldner muss sich im Gewahrsam der körperlichen Sachen befinden (vgl. § 70 Abs. 1 GVGA). Dies hat der Gerichtsvollzieher von Amts wegen zu prüfen. Vor diesem Hintergrund handelt ein Gläubiger grundsätzlich nicht pflichtwidrig, wenn er die Pfändung eines Gegenstandes beantragt, sofern er hinreichende Anhaltspunkte dafür hat, dass sich dieser im Gewahrsam des Schuldners befindet. Er hat insbesondere keine Verpflichtung zu einer über jene des Gerichtsvollziehers hinausgehende "Vorprüfung" der Eigentumsverhältnisse. Der Gläubiger darf grundsätzlich davon ausgehen, dass der Gerichtsvollzieher seinen Amtspflichten gemäß seinerseits prüft, ob ein Gewahrsam i. S. der Vorschrift tatsächlich besteht. Etwas anderes gilt allein dann, wenn der Gläubiger den Gerichtsvollzieher zur Pfändung bestimmter Gegenstände anweist, obwohl er weiß, dass diese nicht zum Vermögen des Schuldners gehören oder jedenfalls ohne Weiteres hätte erkennen können, dass dies nicht der Fall ist (AG Hamburg-Barmbek, ZInsO 2013, 1967).
Gewahrsam des Schuldners ist gegeben, wenn diejenigen Personen, die den Besitz wahrnehmen oder ausüben, zwar nicht mit dem Vollstreckungsschuldner identisch sind, die Besitzwahrnehmung oder Besitzausübung dem Schuldner aber wegen der besonderen Beziehungen, die zwischen ihm und den besitzwahrnehmenden oder besitzausübenden Personen bestehen, zuzurechnen ist (KG, NJW 1977, 1160). Gem. § 70 Abs. 1 Satz 5 GVGA sind Sachen, an denen der gesetzliche Vertreter des Schuldners Gewahrsam hat, so zu behandeln, als übe der Schuldner den Gewahrsam aus. Im Hinblick auf die Pfändung eines Kraftfahrzeugs gilt für den im Fahrzeugregister eingetragenen Fahrzeughalter eine widerlegliche Gewahrsamsvermutung (AG Schöneberg, DGVZ 2012, 210 = KKZ 2013, 133).
Rz. 5
Das aufgrund des Gesetzesvorbehaltes öffentlichen Handelns streng formalisierte Vollstreckungsverfahren verlangt leicht überschaubare Merkmale, die den Schluss auf die Rechtszugehörigkeit des Vollstreckungsobjekts zum Vermögen des Schuldners – oder eben eines anderen – zulassen. Für den Gewahrsamsbegriff des Vollstreckungsrechts genügt nicht die tatsächliche Sachherrschaft allein. Eine solche muss vielmehr in einer äußerlich (leicht) erkennbaren Weise gerade der Person zugeordnet werden können, auf die es ankommt (LG Frankfurt, MDR 1988, 504). Gewahrsam i. S. d. § 808 ZPO meint zwar i. d. R. die tatsächliche Sachherrschaft, ist aber strikt vom materiellen Besitz (vgl. § 854 Abs. 1 BGB) abzugrenzen. Dabei ist keineswegs in Frage zu stellen, dass es zwischen diesen beiden Begriffen Ähnlichkeiten und Parallelen gibt, die zur Auslegung im Einzelnen beitragen können. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Begriffen ergibt sich jedoch aus der besonderen Natur und dem Verständnis des Vollstreckungsrechts. Das Vollstreckungsrecht ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsgebiet, in dem staatliche Organe ggü. den Verfahrensbeteiligten hoheitlich tätig werden (LG Frankfurt, MDR 1988, 504; BGH, NJW 1978, 950 = BB 1978, 427 = Rpfleger 1978, 131 = DB 1978, 788 = MDR 1978, 839 = WM 1978, 356 = VersR 1978, 447). In ihm werden deshalb auch keine materiell-rechtlichen Rechtsbeziehungen begründet, obwohl sich auch Auswirkungen auf das materielle Recht ergeben können. Wegen dieses öffentlich-rechtlichen Charakters bedingt das Vollstreckungsrecht aufgrund des sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Grundsatzes des Gesetzesvorbehaltes öffentlichen Handelns ein streng formalisiertes Verfahren (Gaul, Rpfleger 1971, 81 (90); Zöller/Stöber, vor § 704 Rn. 22). Dies führt von der Formalisierung der Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) zur Formalisierung auch der Zugriffstatbestände. Da es für den Gewahrsamsbegriff im Vollstreckungsrecht auf eine in äußerlich (leicht) erkennbaren Zuordnung zu einer bestimmten Person ankommt, ist dies i. R.d. § 808 ZPO der Schuldner, i. R.d. § 809 ZPO der Dritte. Diese äußerliche, aufgrund objektiver Umstände leicht feststellbare Erkennbarkeit ist das entscheidende Kriterium dafür, ob der gepfändete körperliche Gegenstand im Zeitpunkt der Pfändung im Gewahrsam des Schuldners steht oder nicht. Dieses so beschriebene Kriterium der Erkennbarkeit ist auch für Zweifelsfragen maßgebend wie z. B., ob jemand eigenen Gewahrsam innehat oder als "Gewahrsamsdiener" für einen anderen, als gesetzlicher Vertreter eines anderen oder als Organ einer juristischen Person oder Personengesellschaft tätig wird. In allen diesen Fällen ist im Zweifel eigener Gewahrsam anzunehmen, wenn keine objektiven Merkmale für einen Fremdgewahrsam erkennbar sind (LG Frankfurt, MDR 1988, 504 m. w. N.).
Rz. 6
Im Gewahrsam des Schuldners befinden sich demnach alle Sachen, die in äußerlich erkennbarer Weise seinem Machtbereich (seiner Herrschaft) unterliegen und durch den sie nach der Verkehrsauffassung als sein Vermögen ausgewiesen sind (OLG Stuttgart, Urteil v. 29.11.2011, 12 U 85/10 – Juris). Es sind dies alle Gegenstände, die sich in der tatsächlichen Gewalt des Schuldners befind...