1 Normzweck

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist Ausdruck des Tierschutzes und soll die Unpfändbarkeit von Haustieren, welche nicht Erwerbszwecken dienen, gewährleisten.

2 Anwendungsbereich

 

Rz. 2

Die Norm erfasst ausschließlich Tiere, die ohne Erwerbszweck in räumlicher Nähe, d. h. im häuslichen Bereich zum Schuldner, gehalten werden. Der Erwerbszweck scheidet bereits aus, wenn das Tier nur einem Nebenerwerb dient. Eine Ausnahme ist nur zu machen, wenn der Nebenerwerb gänzlich in den Hintergrund tritt, etwa ein Tier nur einmalig gegen ein geringes Entgelt als Zuchttier zur Verfügung gestellt wird (Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, § 811c Rn. 1; Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39) oder sich eine Unpfändbarkeit bereits aus § 811 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ZPO ergibt.

 

Rz. 3

Der häusliche Bereich umfasst die Wohnung bzw. Haus, Garten, Stall, Voliere, Wohnwagen, Zelt oder Zweitwohnung (Musielak/Becker, § 811c Rn. 2). Mit dieser Begriffsbildung ist zugleich klargestellt, dass nicht nur Haustiere im herkömmlichen Sinne geschützt werden, sondern auch andere Tiere, die nur in die häusliche Lebenssphäre des Schuldners aufgenommen sind und über die der Schuldner die Entscheidungsgewalt ausübt (MünchKomm/ZPO-Schilken, ZPO, 2. Aufl., § 811c ZPO Rn. 2). Der Wert des Tieres ist dabei ebenso gleichgültig wie die Art, sodass auch domestizierte Tiere erfasst werden (BT-Drucks. 11/5463, S. 7; Lorenz, MDR 1990, 1057).

Der Zuordnung des Tieres zum häuslichen Bereich steht nicht entgegen, dass es vorübergehend anderweitig untergebracht ist (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39). Die Regelung findet auch Anwendung bei

  • mehrtägiger tierärztlicher Behandlung in einer Tierklinik,
  • mehrtägiger Unterbringung in einer Tier- oder Dressurschule,
  • Quarantäne vor einem Auslandsaufenthalt,
  • Ausleihe für einen Zuchtzweck oder
  • Unterbringung in einer Tierpension während der Urlaubszeit.

3 Ausnahme vom Pfändungsschutz (Abs. 2)

3.1 Allgemeines

 

Rz. 4

Ein weitgehendes Pfändungsverbot für Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden, birgt die Gefahr, dass der Schuldner Vermögenswerte dem Zugriff der Gläubiger dadurch entzieht, dass er wertvolle Tiere erwirbt, zu denen er keine engen emotionalen Beziehungen hat. In solchen Fällen besteht kein schutzwürdiges Interesse des Schuldners. Hierunter fallen z. B. Reitpferde, Rassehunde bzw. seltene Tierarten (vgl. BT-Drucks. 11/5463, S. 7). Zudem sind hierbei berechtigte Interessen des Gläubigers an der Durchsetzung seiner titulierten Forderung unverhältnismäßig vernachlässigt. Um die wechselseitigen Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits sowie die Belange des Tierschutzes in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, sieht Abs. 2 daher vor, dass in Ausnahmefällen das Vollstreckungsgericht die Pfändbarkeit eines in Abs. 1 bezeichneten Tieres wegen dessen hohen Wertes anordnen kann.

 

Rz. 5

Die vorzunehmende Interessenabwägung verlangt zunächst die eigene wirtschaftliche Situation des Gläubigers zu betrachten (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39). Umso weniger seine eigene wirtschaftliche Existenz gesichert ist, umso stärker überwiegen seine Belange. Ebenfalls spielt die Art der Schuld – etwa ein Anspruch aus unerlaubter Handlung bzw. Unterhalt – ebenso eine Rolle wie sonstige Vollstreckungs- und Verwertungsmöglichkeiten. Allerdings sind auch die Bindungen weiterer Familienangehöriger – z. B. alter und kranker Menschen oder Kinder – zu beachten.

 

Rz. 6

Bei den Belangen des Tierschutzes sind insb. folgende Fragen bedeutsam (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39):

  • Welche Bindung hat das Tier an den Schuldner und dessen Familie?
  • Welche besonderen Entfaltungsmöglichkeiten hat das Tier beim Schuldner, die nach einem Verkauf nicht mehr gegeben sind?
  • Welches Alter hat das Tier (AG Paderborn, DGVZ 1996, 44: Keine Pfändung eines 20-jährigen Pferdes, das beim Schuldner sein "Gnadenbrot" erhält)?
  • Welchen Gesundheitszustand hat das Tier?
  • Welche Bedeutung hat das Tier für andere Tiere im häuslichen Bereich des Schuldners?
  • Welche Verwertungsart kommt in Betracht (anderer häuslicher Bereich, Versuchslabor, Verwertung nach Tod)?

3.2 Voraussetzungen

3.2.1 Hoher Wert

 

Rz. 7

Der Wert des Tieres muss hoch sein. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 11/5463 S. 7) muss hier ein Wert von 500,00 DM (250 EUR; nach der bis 1990 gültigen Wertgrenze des § 811 Nr. 14 ZPO a. F.) beträchtlich überschritten werden.

3.2.2 Nicht zu rechtfertigende Härte für Gläubiger

 

Rz. 8

Ist der Wert des Tieres hoch, muss zusätzlich die Unpfändbarkeit eine unbillige Härte für den Gläubiger bedeuten, die durch die Belange des Tierschutzes und die Schuldnerinteressen am Tier bei Abwägung aller Umstände nicht zu rechtfertigen ist. Dies ist gegeben, bei hartnäckiger Zahlungsverweigerung eines Mieters auch wenn die wertvollen Haustiere (hier: Koi-Karpfen und Papageien) sein einziges pfändbares Vermögen darstellen (LG Berlin, Grundeigentum 2007, 721).

3.2.3 Antrag/Verfahren

 

Rz. 9

Es entscheidet (ausschließlich; §§ 764, 802 ZPO) das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger; § 20 Nr. 17 RpflG). Hierzu bedarf es eines Antrages des Gläubigers. Ein solcher kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll ...

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