Rz. 141
Bei einem Oder-Konto (i. d. R. bei Ehegatten, Lebenspartnern) sind die Kontoinhaber hinsichtlich des Auszahlungsanspruchs als Gesamtgläubiger gesamtberechtigt im Sinne des § 428 BGB, sodass jeder aufgrund seiner eigenen Forderungsinhaberschaft Auszahlung des gesamten Kontoguthabens an sich verlangen kann (BGH, NJW 2018, 2632; BGH, WM 2002, 1683; BGH, NJW 1985, 1218 = WM 1985, 344 = ZIP 1985, 339 = BB 1985, 611 = DB 1985, 1018 = EWiR 1985, 119 = JZ 1985, 487 = MDR 1985, 576 = JuS 1985, 997). Jeder einzelne kann hinsichtlich der gesamten Einlage die Auszahlung des gesamten Saldos verlangen und zwar stets an sich allein. Zwar kann das kontoführende Kreditinstitut entgegen der dispositiven Regelung des § 428 BGB nicht "nach seinem Belieben" an einen der Gläubiger leisten. Dieses Wahlrecht wird im Kontovertrag verkehrstypisch dahingehend abbedungen (§ 157 BGB), dass das Kreditinstitut nur an denjenigen leisten kann, der die Leistung fordert (BGH, NJW 2018, 2632 m. w. N.; OLG Nürnberg, NJW 1961, 510, 511; KG, WM 1976, 65, 67; OLG Dresden, WM 2001, 1148, 1149; LG Frankfurt/Main, WM 2004, 1282, 1283). Eine Leistung an den nicht fordernden Gesamtgläubiger hätte keine schuldbefreiende Wirkung. Der Gläubiger darf daher mit der Pfändung des Kontos auf das gesamte auf diesem Konto vorhandene Guthaben zugreifen (BGH, NJW 1985, 1218 = WM 1985, 344 = ZIP 1985, 339 = BB 1985, 611 = DB 1985, 1018 = EWiR 1985, 119 = JZ 1985, 487 = MDR 1985, 576 = JuS 1985, 997). Der BGH hat dabei allerdings offen gelassen, ob der von der Pfändung nicht betroffene Kontoinhaber weiterhin über die Einlageforderung verfügen kann und das Kreditinstitut zur Leistung an ihn berechtigt und verpflichtet bleibt, solange der Betrag noch nicht an den Vollstreckungsgläubiger ausgezahlt ist (BGH, NJW 1985, 1218 = WM 1985, 344 = ZIP 1985, 339 = BB 1985, 611 = DB 1985, 1018 = EWiR 1985, 119 = JZ 1985, 487 = MDR 1985, 576 = JuS 1985, 997; Goebel, Vollstreckung effektiv 2008, 37).
Rz. 141a
Da es sich beim Oder-Konto um Gesamtgläubigerschaft handelt, kann hier nicht von einer Pfändung nach Kopfteilen ausgegangen werden (a. A. OLG Koblenz, NJW-RR 1990, 1385). Daher dürfte auch die Pfändung und Überweisung den anderen Kontoinhaber, der nicht Vollstreckungsschuldner ist, nicht daran hindern, über ein eventuelles Guthaben zu verfügen, weil das Verfügungsverbot immer nur Vollstreckungsschuldner betrifft, nicht dagegen den nichtschuldnerischen Kontomitinhaber (OLG Stuttgart, InVo 2002, 339; Stöber, Rn 341; Goebel, Vollstreckung effektiv 2008, 37; Mock, Die Praxis der Forderungsvollstreckung, 1. Auflage, § 4 Rn. 175). Solange jedenfalls der nicht schuldnerische Kontomitinhaber keine Auszahlung verlangt, muss das Kreditinstitut dem Auszahlungsbegehren des Pfändungsgläubigers bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen in vollem Umfang nachkommen. Denn in der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an das Kreditinstitut ist ein Leistungsverlangen des Vollstreckungsgläubigers i. H. d. gepfändeten Betrags an Stelle des sonst berechtigten Schuldners zu sehen (Goebel, Vollstreckung effektiv 2008, 37; Mock, Die Praxis der Forderungsvollstreckung, 1. Aufl., § 4 Rn. 175 m. w. N.). Das Forderungsrecht des anderen Gesamtgläubigers erlischt dann, wenn das Leistungsverlangen des anderen Pfändungsgläubigers tatsächlich erfüllt wurde (BGH, NJW 2018, 2632). .
Rz. 142
Nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht ist das Kreditinstitut bei kollidierenden Weisungen der Mitinhaber eines Oder-Kontos in den Fällen, in denen sich eine zeitliche Priorität der Weisungen ausmachen lässt, hieran gebunden (BGH, NJW 2018, 2632; a. A. LG Hannover, WM 1972, 638, 639; Hüffer/van Look, Rechtsfragen zum Bankkonto, 4. Aufl., Rn 152; Rieder, WM 1987, 29, 32). Aus dem Prioritätsprinzip werden allerdings unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Zum Teil wird angenommen, es komme darauf an, wer die Leistung als Erster verlangt habe (OLG Celle, WM 1995, 1871; Canaris in Großkomm. HGB, 4. Aufl., Bankvertragsrecht Erster Teil, Rn 225; Einsele in Festschrift Nobbe, 2009, S. 27, 41; Gernhuber, WM 1997, 645, 649; Rüßmann, JurisPK-BGB, 8. Aufl., § 428 Rn 14; Merz/Peterek in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rn 6.728; Pohlmann, Das von Ehegatten geführte Oder-Konto, 2002, S. 63; Staudinger/Looschelders, BGB, Neubearb. 2017, § 428 Rn. 24, 27; Streißle, EWiR 2004, 901, 902; Wagner, WM 1991, 1145, 1146). Eine andere Ansicht stellt hingegen vorrangig darauf ab, welches Verlangen bei ordnungsgemäßer Bearbeitung zuerst zur Erfüllung gelangen würde; nur wenn nicht zu erkennen sei, welche der Verfügungen bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang zuerst zur Erfüllung anstehe, komme es auf die zeitliche Reihenfolge des Eingangs der Weisungen an. Der BGH hat diese Frage offengelassen. Die zuerst genannte Auffassung trifft nach meinem Dafürhalten jedoch zu. Lag die Anweisung des weiteren Kontoinhabers daher schon vor der Pfändung vor, ist diese auszuführen. Erfolgt diese erst nach de...