Rz. 36
Die Regelung nach § 850d Abs. 2 ZPO wird durch die Norm § 7 UVG als speziellere Vorschrift verdrängt (vgl. Rz. 19 ff.; 44f.).
Das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 (BGBl I 2007, S. 3189) hat Abs. 2 insoweit geändert, dass mit Wirkung zum 1.1.2008 die Rangordnung bei der Vollstreckung konkurrierender Unterhaltsgläubiger modifiziert wurde. Diese Novellierungen bringen für pfändende Unterhaltsgläubiger Veränderungen mit sich. Die Möglichkeit des Abs. 2 a. F., wonach das Vollstreckungsgericht das Rangverhältnis der Berechtigten zueinander auf Antrag nach billigem Ermessen in anderer Weise festsetzen konnte, ist in der Neufassung des Abs. 2 zum 1.1.2008 nicht mehr enthalten, mithin also weggefallen (AG Hannover, 23.2.2009 – 705 M 55666/07 – juris).
Rz. 37
Treffen konkurrierende Unterhaltsgläubiger im Rahmen einer Lohnpfändung aufeinander, gilt das Prioritätsprinzip nach § 804 Abs. 3 ZPO nicht. Vielmehr gilt nach Abs. 2 die Reihenfolge gem. § 1609 BGB und § 16 des LPartG, wobei mehrere gleich nahe Berechtigte untereinander den gleichen Rang haben. Insofern gilt nach § 1609 BGB folgende Reihenfolge:
Rz. 38
- Minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder i. S. d. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB;
- Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile i. S. d. § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zu berücksichtigen;
- Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nr. 2 fallen;
- Kinder, die nicht unter Nr. 1 fallen;
- Enkelkinder und weitere Abkömmlinge;
- Eltern;
- weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Entfernteren vor.
Die Bevorrechtigung des Gläubigers gemäß § 850d Abs. 2 ZPO i. V. m. § 1609 BGB gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten muss sich hingegen nicht aus dem Titel ergeben. Die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter hat das Vollstreckungsorgan bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO selbständig zu prüfen und festzulegen (BGH, Beschluss v. 6.9.12, VII ZB 84/10 – Juris; Stöber, Rn. 1109, 1113; Stöber, Festgabe für Vollkommer 2006, S. 363, 380; Wolf/Hintzen, Rpfleger 2008, 337 ff.). Damit macht die Vorschrift die Prüfung der materiell-rechtlichen Rangfolge zum Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens; anderenfalls könnte der dem Schuldner nach Abs. 1 Satz 2 ZPO zu belassende Einkommensanteil im Vollstreckungsverfahren nicht bestimmt werden. Auch die Gesetzesmaterialien belegen, dass die materiell-rechtliche Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter im Vollstreckungsverfahren zu prüfen ist. Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts ist die Neufassung von § 850d Abs. 2 ZPO wie folgt begründet worden: "Die in § 850d Abs. 2 ZPO enthaltene Rangfolge zwischen pfändenden Unterhaltsgläubigern wird, da die materiell-rechtliche Regelung und das Zwangsvollstreckungsrecht übereinstimmen müssen, mit der neuen, durch den Entwurf geschaffenen unterhaltsrechtlichen Rangfolge (§ 1609 BGB, § 16 LPartG) in Einklang gebracht." (BT-Drucks. 16/1830 S. 36 li. Sp.; vgl. auch schon BT-Drucks. 5/3719 S. 50 re. Sp.).
Rz. 39
Die Folgen der Gesetzesänderung in der Praxis sind unterschiedlich, je nachdem welche Rangstellung der pfändende Unterhaltsgläubiger nunmehr einnimmt. Eine Verbesserung besteht in der Praxis v.a. bei der Vollstreckung Minderjähriger ggü. Ehegatten, da letztere nunmehr die 3. Rangposition ggü. den erstrangigen Kindern einnehmen (Mock, Vollstreckung effektiv 2008, 153).
Rz. 40
Das minderjährige, nicht eheliche Kind K. pfändet i. R.d. bevorrechtigten Vollstreckung wegen rückständiger Unterhaltsansprüche i. H. v. 2.000,00 EUR und laufenden monatlichen Ansprüchen i. H. v. 300,00 EUR in das Arbeitseinkommen des Schuldners S. Zum Haushalt des S. gehören der 20-jährige Sohn X., der noch zur Schule geht, die 13-jährige Tochter T. sowie die Ehefrau E. S. verdient monatlich netto 2.500,00 EUR.
Das Vollstreckungsgericht müsste zunächst gem. § 850d Abs. 1 ZPO den dem Schuldner notwendigen Selbstbehalt und zudem Unterhaltsbeträge für die im Haushalt des Schuldners lebenden Familienangehörigen festsetzen. Nach § 850d Abs. 2 ZPO a. F. waren die im Haushalt des Schuldners lebenden Personen (im Beispiel: X., T. und E.) gleichrangig, sodass folgende Freibeträge nach der Regelsatzverordnung festgesetzt werden konnten:
Schuldner |
351,00 EUR |
Ehegatte |
313,00 EUR |
|
volljähriges Kind |
280,00 EUR |
|
minderjähriges Kind |
211,00 EUR |
|
Warmmiete (geschätzt) |
800,00 EUR |
|
unpfändbar somit |
1.955,00 EUR |
Seit dem 1.1.2008 sind beide im Haushalt des S. lebenden Kinder sowie das pfändende Kind gleichberechtigt (§ 1609 Nr. 1 BGB). Die Ehefrau hingegen ist nun nachrangig (§ 1609 Nr. 3 BGB). Dies hat zur Folge, dass diese bei der Berechnung des unpfändbaren Betrags nach § 850d Abs. 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen...