Rz. 29
Geld- und Naturalleistungen sind insgesamt zu betrachten. Erhält der Schuldner aus seinem Arbeitsverhältnis neben dem in Geld zahlbaren Einkommen auch Naturalleistungen (Sachbezüge), so sind Geld- und Naturalleistungen zum Zwecke der Pfändung zusammenzurechnen.
Rz. 29a
Typische Naturalleistungen sind freie Verpflegung, Unterkunft und Nutzung von Dienstwoh-nung und Dienstwagen. Die Wertberechnung obliegt grds. dem Drittschuldner. Die Richtsätze des Sozialversicherungsrechts, die auch im Steuerrecht gelten (vgl. auch "Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung – SvEV)", sind regelmäßig Grundlage zur Feststellung des ortsüblichen Wertes. Besondere Umstände erlauben abweichende Festlegungen.
Sachbezüge sind Sachen oder Dienstleistungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses an den Schuldner zu privaten Zwecken gewährt. Sie stellen Arbeitseinkommen nach § 850 Abs. 2 ZPO dar (BAG, BB 1996, 164) und werden dem Arbeitnehmer entweder unentgeltlich oder verbilligt überlassen. Hierunter fallen z. B. Deputate, Kost und Logis, Kfz-Gestellung (= 1 % des auf volle Hundert abgerundeten Listenpreises gem. der lohnsteuerrechtlichen Behandlung; LAG Niedersachsen, 19.12.2006, 12 Sa 1208/05 – Juris; LG Augsburg, JurBüro 2004, 104; LAG Hamm LAGE § 850e ZPO Nr. 2; LAG Hessen ZAP EN-Nr. 123/2010 = ZVI 2009, 408; AG Cloppenburg, JurBüro 2011, 322; vgl. auch LAG Hessen, Urteil v. 11.7.2013, 9 Sa 1372/11 – Juris), verbilligter Warenbezug (z. B. Freitrunk) bzw. Personalrabatte oder das Stellen von Dienst-/Arbeitskleidung. Sind die in Geld geleistete Nettovergütung und der Sachbezug aus der Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung in ihrer Summe nach §§ 850c Abs. 1, 850e Nr. 3 ZPO unpfändbar, verstößt eine Anrechnung des Sachbezugs auf das Arbeitseinkommen gegen das Verbotsgesetz des § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO (BAG ZInsO 2009, 1412). Bei Trinkgeldern (hier: eines Kellners) handelt es sich nicht um Arbeitseinkommen i. S. d. der Norm (LG Regensburg, JurBüro 1995, 218). Trinkgelder sind daher nicht bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens hinzuzurechnen. Solche Mehreinnahmen können nur im Wege der Taschenpfändung durch den Gerichtsvollzieher gepfändet werden (LG Hamburg, JAmt 2002, 44; OLG Stuttgart, InVo 2001, 453). Sowohl eine Forderungspfändung als auch eine Zusammenrechnung scheidet aus, weil der Kellner diese Trinkgelder ohne Rechtsanspruch persönlich vereinnahmt, also Rechtsansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind (vgl. auch MünchKomm/ZPO-Smid, § 850e Rn. 14). Da die Trinkgeldeinnahmen des Schuldners in ihrer Höhe nicht hinreichend sicher feststehen, würde bei Anordnung einer Zusammenrechnung das "Trinkgeldrisiko" unzulässiger Weise auf den Drittschuldner verlagert.
Rz. 29b
Für sich gesehen sind Naturalleistungen gemäß § 851 ZPO unpfändbar. Da solche Leistungen jedoch für den Schuldner einen geldwerten Vorteil darstellen, wäre ihre Nichtberücksichtigung bei der Bemessung des unpfändbaren Grundfreibetrages im Vergleich zu anderen Schuldnern, die nur ein Arbeitseinkommen in bar erhalten, ungerecht. Hinzu kommt, dass solche Leistungen ebenfalls bei der Besteuerung nach dem EStG berücksichtigt werden (vgl. auch "Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung – SvEV)". Auch insofern wäre es unbillig, einem (Privat-)Gläubiger diesen geldwerten Vorteil des Schuldners zu versagen. Nur der geldwerte Vorteil ist daher "pfändbar". Da der unpfändbare Grundbetrag in erster Linie den Naturalleistungen zu entnehmen ist, hat der Gläubiger in seinem Pfändungsantrag Angaben über die Höhe der Bewertung zu machen.
Rz. 30
Die Addition hat der Drittschuldner vorzunehmen, ohne dass dies ausdrücklich durch das Vollstreckungsgericht anzuordnen ist (BGH, InsBüro 2018, 277). In diesem Fall ist der in Geld zahlbare Betrag insoweit pfändbar, als der nach § 850c ZPO unpfändbare Teil des Gesamteinkommens durch den Wert der dem Schuldner verbleibenden Naturalleistungen gedeckt ist (Nr. 3). Dies bedeutet, dass der Wert der Naturalleistung voll berücksichtigt wird. Dies gilt allerdings nur bei der Berechnung des pfändbaren realen Arbeitseinkommens, nicht auch bei der Ermittlung des höheren pfändbaren fiktiven Arbeitseinkommens gem. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO. Würde ein dem Schuldner vom Drittschuldner gewährter geldwerter Vorteil nicht nur bei der Berechnung des pfändbaren realen Arbeitseinkommens, sondern auch bei der Ermittlung des höheren pfändbaren fiktiven Arbeitseinkommens berücksichtigt, bewirkt dies im Ergebnis eine Erhöhung der fiktiven angemessenen Vergütung i. S. v. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO um einen Teil des realen Arbeitseinkommens (BAG, ZInsO 2008, 758). Weiter bedeutet dies auch, dass in Geld zahlbares Einkommen des Schuldners bei Zusammentreffen mit Naturalleistungen auch unterhalb der unpfändbaren Beträge l...