Prof. Dr. Dimitrios Stamatiadis, Prof. Dr. Spyros Tsantinis
Rz. 8
Es ist zwischen dem Fehlen der Tatbestandsmerkmale der Ehe einerseits und dem Fehlen einer oder mehrerer Voraussetzungen für die Eheschließung andererseits zu unterscheiden. Nur im ersten Fall ist die Ehe ipso iure nichtig, genauer, nicht existent (Nichtehe). Demzufolge liegt eine Nichtehe vor, wenn
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sie gänzlich ohne Einhaltung der vorgesehenen Grundform (gemeinsame Erklärung vor dem Bürgermeister oder Gemeindevorsteher bzw. kirchliche oder sonstige religiöse Trauung) geschlossen worden ist (Art. 1372 Abs. 2 ZGB), |
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die gemeinsame Ehewillenserklärung fehlt und |
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die Partner nicht geschlechtsverschieden sind. |
Bei der Nichtehe entstehen keinerlei Ehewirkungen. Jeder kann sich darauf berufen, ohne dass ein gerichtliches Urteil nötig wäre.
Rz. 9
In den anderen Fällen, in denen entweder eine Ehevoraussetzung fehlt oder ein Ehehindernis vorliegt (siehe Rdn 4 f.), ist die Ehe nach der gesetzlichen Terminologie "nichtig" (Art. 1372 Abs. 1 ZGB). Die Nichtigkeit der Ehe muss jedoch durch rechtskräftiges gerichtliches Urteil anerkannt bzw. verkündet werden. Es handelt sich dabei also um eine "aufhebbare" bzw. "anfechtbare" Ehe. Das Gleiche gilt für die "stricto-sensu-Anfechtbarkeit" der Ehe, also für den Fall, in dem die Ehe durch Irrtum oder Drohung geschlossen worden ist (Art. 1374 und 1375 ZGB). Die Anerkennung der Nichtigkeit der Ehe führt jedoch nicht zur Aufhebung sämtlicher Ehewirkungen (z.B. Kinder aus dieser Ehe werden weiterhin als eheliche Kinder behandelt). Die Scheinehe wird nach wohl h.M. als gültig betrachtet – dies im Gegensatz zur allgemeinen Regelung der sonstigen Scheingeschäfte, die nichtig sind (Art. 138 ZGB). Besonders geregelt ist die Putativehe (Art. 1383 ZGB). Eine Putativehe liegt vor, wenn bei der Eheschließung beide oder einer der Ehegatten die Nichtigkeit nicht kannte(n). In diesem Fall wirkt die Nichtigkeitserklärung den Ehegatten bzw. demjenigen gegenüber, der die Nichtigkeit nicht kannte, nur für die Zukunft.