Leitsatz
Bei jeder Durchsuchungsmaßnahme ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer war wegen Einkommensteuerhinterziehung angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, durch inhaltlich falsche Belege über "Fachbücher" zu Unrecht Werbungskosten geltend gemacht und dadurch Steuervorteile in Höhe von 172DM erzielt zu haben. Er wendet sich gegen eine Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahme, die das Gericht während der laufenden Hauptverhandlung angeordnet hat. Der Beschwerdeführer hatte zuvor in der Beweisaufnahme erklärt, die betreffenden Bücher befänden sich in seinem Büro, das anschließend erfolglos durchsucht wurde. Das BVerfG gab der Beschwerde teilweise statt.
Entscheidung
Art.13 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein, weswegen ihre Anordnung grundsätzlich einem Richter vorbehalten ist. Entsprechende Beschlüsse müssen den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Die Durchsuchung bedarf vor allem einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie muss also bezüglich des mit ihr verfolgten Zwecks erfolgversprechend erscheinen. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist. Diese Grundsätze waren nach Auffassung des BVerfG nicht völlig gewahrt.
Die Maßnahme war nach Meinung der Richter zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Steuerhinterziehung nicht erforderlich. Hierfür hätten weniger einschneidende Mittel zur Verfügung gestanden. Denn der Beschwerdeführer hatte in der Hauptverhandlung behauptet, zu diesem Zeitpunkt die relevanten Bücher selbst noch zu besitzen. Auf dieser Grundlage wäre der Zweck der angegriffenen Durchsuchung, verwertbare und verfahrenserhebliche Beweismittel zu erlangen, auch durch die im Verhältnis zur Durchsuchung mildere Aufforderung an den Beschwerdeführer erreichbar gewesen, dem Gericht die Bücher sofort zu präsentieren. Aus einer etwaigen Nichtvorlage der Bücher hätte das Gericht verwertbare Schlüsse ziehen können. Diese Folgerungen hätten dem Beweiswert einer vollzogenen, den Beschwerdeführer in schwer wiegender Weise belastenden Durchsuchung entsprochen. Zwar muss sich im Strafverfahren niemand selbst belasten; auch vollständiges Schweigen ist dem Beschuldigten erlaubt. Angesichts seiner ausdrücklichen Erklärung, im Besitz der Bücher zu sein, durfte das Gericht das Verhalten des Angeklagten gegebenenfalls auch zu dessen Nachteil verwerten.
Praxishinweis
Das BVerfG lässt explizit offen, ob die Maßnahme nicht bereits angesichts des geringen Hinterziehungsbetrags von 172DM unverhältnismäßig war. Ausdrücklich geht der Beschluss aber davon aus, dass auch bei diesem Betrag die Grenze zur Bagatellkriminalität überschritten ist.
Link zur Entscheidung
BVerfG-Beschluss vom 29.11.2004, 2 BvR 1034/02