FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlaß v. 7.12.2010, S 0190
Vertreter bzw. Verfügungsberechtigte im Sinne der §§ 34, 35 AO haften gemäß § 69 AO insoweit persönlich für Steuerschulden der von ihnen vertretenen Gesellschaft, als durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der ihnen obliegenden Verpflichtungen Steueransprüche verkürzt worden sind.
So haben Vorstände oder Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften als deren gesetzliche Vertreter (§§ 76, 78 AktG; § 35 GmbHG) und die Geschäftsführer von Personengesellschaften (GbR: §§ 709 ff. BGB; OHG: §§ 114 ff. HGB; KG: §§ 164, 161 Abs. 2 i.V.m. §§ 114 ff. HGB; Partnerschaft: § 6 und 7 PartG i.V.m. §§ 114 ff. HGB) die steuerlichen Pflichten der von ihnen vertretenen Gesellschaften zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 und 2 AO). Sie haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (§ 69 Satz 1 AO). Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).
Sind in einer Gesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft grundsätzlich jeden von ihnen die Verantwortung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft. Die Gesamtverantwortung verlangt eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im ganzen. Diese kann durch eine – zwingend schriftliche, beispielsweise im Gesellschaftsvertrag enthaltene – Verteilung der Geschäfte zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben werden (BFH-Urteil vom 26.4.1984, BStBl 1984 II 776 ; BFH-Urteil vom 4.3.1986, BStBl 1986 II S. 384). Ist die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der Gesellschaft wirksam einem Mitgeschäftsführer zugewiesen, so tritt für die anderen Geschäftsführer der Umfang ihrer Pflichten nur insoweit und solange zurück, wie für sie unter dem Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 347 HGB, § 93 AktG, § 43 GmbHG) kein Grund für die Annahme besteht, die steuerlichen Pflichten würden nicht genau erfüllt.
Zeichnet sich die naheliegende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft ab, ist jeder einzelne Geschäftsführer verpflichtet, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft zu kümmern (solidarische Verantwortlichkeit und Haftung). Das gleiche gilt, wenn im konkreten Fall die Person eines handelnden Mitgesellschafters, Geschäftsführers oder Angestellten Veranlassung zu einer Überprüfung gibt, z.B. wenn sich aus dem Betriebsablauf der Gesellschaft, insbesondere aus dem Zahlungsverkehr ergibt, dass keine oder kaum Umsatzsteuer- oder Lohnsteuerbeträge an das FA abgeführt werden (BFH-Urteil vom 26.4.1984, BStBl 1984 II S. 776 ; BFH-Urteil vom 12.5.1992, BFH/NV 1992 S. 785).
Bei der Prüfung des Verschuldens ist dabei weiterhin von Belang, ob es sich bei den verkürzten Steuern um Lohnsteuerabzugsbeträge (Abschn. I) oder um sonstige Betriebssteuern (Abschn. II) handelt.
I. Lohnsteuerabzugsbeträge
Werden einzubehaltende Lohnsteuerabzugsbeträge, für die der Arbeitgeber nach den einkommensteuerlichen Bestimmungen haftet (also nicht die pauschalierte Lohnsteuer; siehe unter II.1.), nicht oder nicht rechtzeitig an das FA abgeführt, liegt nach den vom BFH aufgestellten Grundsätzen (siehe z.B. Urteil vom 26.7.1988, BStBl 1988 II S. 859) regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung vor.
Vom Arbeitgeber einbehaltene und abzuführende Lohnsteuern (vgl. § 41a Abs. 1 EStG) werden gleichsam treuhänderisch für den Arbeitnehmer als Steuerschuldner (§ 38 Abs. 2 EStG) und den Fiskus als Gläubiger vereinnahmt und sind deshalb auch und gerade bei angespannter finanzieller Lage in voller Höhe an das FA abzuführen. Die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge sind für den Arbeitgeber fremde Gelder, die er nicht sach- und zweckwidrig verwenden darf, und zwar auch nicht im Vertrauen darauf, diese Beträge später aus noch eingehenden Außenständen begleichen zu können. Die Nichtabführung einbehaltener Lohnsteuern verletzt daher ohne weiteres die in § 34 Abs. 1 Satz 2 AO normierte Pflicht des für den Arbeitgeber verantwortlich Handelnden, die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers zu entrichten (BFH-Urteil vom 26.7.1988, BStBl 1988 II S. 859).
Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung der vereinbarten Löhne aus, darf ein verantwortungsbewusst handelnder Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen; aus den dann verbleibenden Mitteln hat er die entsprechende Lohnsteuer an das FA abzuführen (BFH a.a.O. sowie Urteile vom 17.10.1980, BStBl 1981 II S. 138, vom 20.4.1982, BStBl 1982 II S. 521 und vom 12.7.1983, BStBl 1983 II S. 653).
Diese Rechtsansicht führt aber nicht dazu, dass eine Haftung nur in der Höhe in Betracht kommt, in der b...