OFD Karlsruhe, Verfügung v. 1.6.2010, S 0190/1
1. Steuerliche Pflichten der Vertreter und Verfügungsberechtigten
Die in § 34 AO bezeichneten Vertreter, wozu insbesondere die Vorstände und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften und die Geschäftsführer von Personengesellschaften rechnen, sowie die Verfügungsberechtigten i.S. des § 35 AO haben die steuerlichen Pflichten der von ihnen vertretenen Steuerpflichtigen zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Sie haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (§ 69 Satz 1 AO). Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).
Sind in einer Gesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft grundsätzlich jeden von ihnen die Verantwortung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft. Diese Gesamtverantwortung kann durch eine – zwingend schriftliche, beispielsweise im Gesellschaftsvertrag enthaltene – Verteilung der Geschäfte zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben werden (BFH-Urteil vom 26.4.1984, BStBl 1984 II S. 776, BFH-Beschluss vom 4.3.1986, BStBl 1986 II S. 384). Ist die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der Gesellschaft wirksam einem Mitgeschäftsführer zugewiesen, so tritt für die anderen Geschäftsführer der Umfang ihrer Pflichten nur insoweit und so lange zurück, wie für sie unter dem Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters (§ 347 HGB, § 93 AktG, § 43 GmbHG) kein Grund für die Annahme besteht, die steuerlichen Pflichten würden nicht genau erfüllt. Zeichnet sich die nachhaltige Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft ab, ist jeder einzelne Geschäftsführer verpflichtet, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft zu kümmern. Das Gleiche gilt, wenn im konkreten Fall die Person eines handelnden Mitgesellschafters, Geschäftsführers oder Angestellten Veranlassung zu einer Überprüfung gibt, z.B. wenn sich aus dem Betriebsablauf der Gesellschaft, insbesondere aus dem Zahlungsverkehr ergibt, dass keine oder kaum Umsatzsteuer- oder Lohnsteuerbeträge an das FA abgeführt werden (BFH-Urteil vom 26.4.1984 a.a.O., BFH-Beschluss vom 4.3.1986, a.a.O., und BFH-Urteil vom 12.5.1992, BFH/NV 1992 S. 785).
Eine Haftung des Vertreters tritt nur bei eigenem Verschulden ein. Bedient sich der Vertreter zur Erfüllung der ihm durch § 34 AO auferlegten Pflichten dritter Personen (z.B. Angestellte, steuerliche Berater), haftet er nur dann für Steuerausfälle, die durch schuldhaftes Verhalten der beauftragten dritten Person eingetreten sind, wenn ihn ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft (BFH-Urteil vom 30.8.1994, BStBl 1995 II S. 278).
2. Haftung für Steuerabzugsbeträge, insbesondere Lohnsteuerabzugsbeträge
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer die Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Etwaige Liquiditätsschwierigkeiten können ihn nicht von seiner Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer befreien. Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht aus, so müssen die Löhne in dem Umfange gekürzt werden, dass die Lohnsteuer aus den vorhandenen Mitteln an das FA entrichtet werden kann. Hier ist auf die Liquiditätslage der Gesellschaft im Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne abzustellen. Bei unvorhersehbaren Verschlechterungen, die zwischen dem Zeitpunkt der Lohnzahlung und der Fälligkeit der Lohnsteuer eingetreten sind, kann dem Geschäftsführer die unterlassene Kürzung nicht vorgeworfen werden (BFH-Urteil vom 20.4.1993, BFH/NV 1994 S. 142).
Lohnsteuerabzugsbeträge sind als treuhänderisch verwaltete Fremdgelder vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das FA abzuführen. Es liegt deshalb regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige, die Haftung des Vertreters auslösende Pflichtverletzung vor, wenn er seiner Verpflichtung zur gleichrangigen Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des Finanzamts hinsichtlich der darauf entfallenden Lohnsteuer nicht nachkommt (BFH-Urteil vom 20.4.1982, BStBl 1982 II S. 521, BFH-Beschluss vom 12.7.1983, BStBl 1983 II S. 655, und BFH-Urteile vom 26.7.1988, BStBl 1988 II S. 859, vom 29.5.1990, BFH/NV 1991 S. 283 und vom 20.4.1993, BFH/NV 1994 S. 142).
Die Haftung des Vertreters für Lohnsteuerabzugsbeträge kommt nicht nur in der Höhe in Betracht, in der bei Zugrundelegung des ausgezahlten Nettolohnes als Bruttolohn Lohnsteuer angefallen wäre. Vielmehr kann der für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer verantwortliche Vertreter grundsätzlich unabhängig von der Liquiditätslage des Unternehmens in vollem Umfange als Haftender in Anspruch genommen werden. Nur in den Fällen, i...