Leitsatz
Hintergrund
Unverzüglich nach Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), spätestens jedoch nach drei Wochen, haben GmbH-Geschäftsführer Insolvenzantrag nach § 15a InsO zu stellen. Für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife haftet der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft nach § 64 Satz 1 GmbHG - dies gilt auch für Zahlungen in dem 3-Wochen-Zeitraum! Im Insolvenzverfahren macht der Insolvenzverwalter die Rückerstattung der Zahlungen zur Masse geltend, was den in Anspruch genommenen Geschäftsführer häufig auch privat ruiniert. Denn lediglich Zahlungen, die nach § 64 Satz 2 GmbHG mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns" vereinbar sind, lösen keine Haftung aus. Welche Zahlungen dies sind, beschäftigt immer wieder die Gerichte.
Das Urteil des BGH
Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob ein GmbH-Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft dafür haftet, dass diese nach Eintritt der Inslovenzreife rückständige Umsatz- und Lohsteuern sowie rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gezahlt hatte. Die Zahlung der rückständigen Steuern sind - so der BGH - mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, da sich der Geschäftsführer sonst der persönlichen Haftung für die Steuerschulden nach §§ 69, 34 AO aussetzt. Werden fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen oder einbehaltene Lohnsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt, so stellt dies eine mit Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit dar. Werden rückständige Steuern gezahlt, so wurde zwar bereits zuvor eine Ordnungswidrigkeit begangen, die Nachzahlung verringert aber die zu verhängende Geldbuße zugunsten des Geschäftsführers, weshalb der BGH auch die Begleichung rückständiger Steuern unter § 64 Satz 2 GmbHG fasst.
Wegen der gezahlten rückständigen Beiträge zur Sozialversicherung hat der BGH das Urteil der Berufungsinstanz aufgehoben, da nicht festgestellt worden war, ob hier Arbeitgeber- oder Arbeitnehmeranteile abgeführt worden waren. Nur die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar und löst keine Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG aus. Denn unterbleibt die Abführung von Arbeitnehmeranteilen, so macht sich der Geschäftsführer nach § 266a StGB wegen der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt strafbar. Gleichzeitig würde der Geschäftsführer sich gegenüber der Sozialkasse schadensersatzpflichtig machen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB). Zwar hat sich der Geschäftsführer bei rückständigen Beiträgen bereits zuvor strafbar gemacht, durch die Nachzahlung besteht jedoch die Möglichkeit, eine Strafmilderung oder sogar Straffreiheit zu erlangen.
Nach Eintritt der Insolvenzreife abgeführte Arbeitgeberanteile hat der Geschäftsführer hingegen stets nach § 64 Satz 1 GmbHG zu erstatten. Da die Nichtabführung der Arbeitgeberanteile keine persönliche Ersatzpflicht des Geschäftsführers auslöst und nicht strafbar bzw. ordnungswidrig ist, sind solche Zahlungen auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar.
Hinweis
Der BGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass der Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife nicht nur seit diesem Zeitpunkt fällig werdende Steuern und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung begleichen kann, ohne sich der Haftung des § 64 Satz 1 GmbHG auszusetzen. Dies gilt auch für vor dem Eintritt der Insolvenzreife aufgelaufene Rückstände. Durch Zahlung von Rückständen kann der Geschäftsführer sich auch von einer bereits eingetretenen persönlichen Haftung gegenüber dem Finanzamt oder der Sozialkasse befreien. Zudem kann im Einzelfall eine Strafmilderung oder ein Strafausschluss erreicht werden.
Das Urteil ist zu begrüßen, kann aber nicht die grundsätzliche - gesetzlich vorgegebene - Zwickmühle auflösen, in der sich der Geschäftsführer einer inslovenzreifen Gesellschaft befindet: Wird nicht unverzüglich Insolvenzantrag gestellt, so müssen Sanierungsbemühungen nach § 15a InsO innerhalb von maximal drei Wochen erfolgreich abgeschlossen werden. Kommt eine Sanierung nicht zustande, so haftet der Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG auch für innerhalb der Frist des § 15a InsO erbrachte Zahlungen, soweit diese nicht ausnahmsweise nach § 64 Satz 2 GmbHG zulässig sind.
Und dabei steckt der Teufel im Detail: So muss bei der nicht haftungsrelevanten Abführung der Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in der Tilgungsbestimmung ausdrücklich bestimmt werden, dass dies nur die Zahlung der Arbeitnehmeranteile darstellt. Ohne diese Tilgungsbestimmung wird die Hälfte des Betrags auf den Arbeitgeberanteil verrechnet, sodass für den Arbeitgeberanteil die Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG eintritt und für die nicht gezahlte Hälfte des Arbeitnehmeranteils Strafbarkeit und Haftung gegenüber den Sozialkassen drohen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 25.01.2011, II ZR 196/09