Leitsatz (amtlich)
1. § 53 Abs. 6 AuslG erfasst auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, die zugleich politische Verfolgung darstellen.
2. Nicht jede erhebliche konkrete Gefahr für die Gesundheit des Ausländers macht dessen Abschiebung rechtlich unmöglich (§ 55 Abs. 2 AuslG) oder führt zu einer Ermessensreduzierung auf Null (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG). Das ist nur dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen oder Beeinträchtigungen seiner körperlichen oder psychischen Unversehrtheit ausgesetzt werden würde.
Verfahrensgang
VG Hamburg (Beschluss vom 31.10.2002) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2002 geändert.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Verfahren des ersten Rechtszuges und für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 4.000,– Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht verpflichtet, die Antragsteller – bis zum 30. April 2003 – zu dulden.
1) Der Beschwerde kann allerdings nicht gefolgt werden, soweit sie unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 17. August 1994, NVwZ-RR 1995 S. 419, geltend macht, der Antragsteller zu 1) behaupte, politisch verfolgt zu sein, und könne deshalb seine Abschiebung nur durch Stellung eines Asylantrags beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abwenden. Es ist schon zweifelhaft, ob der Behauptung des Antragstellers zu 1), er sei in seiner Heimat gefoltert worden, die schlüssige Darlegung politischer Verfolgung zu entnehmen ist. Folter erfüllt nicht bereits als solche den Tatbestand von Art. 16 a Abs. 1 GG. Ferner ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung eine Furcht des Antragstellers zu 1) vor erneuter Folter selbst bei Anlegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs wegen der Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland der Antragsteller seit 1999 offensichtlich nicht gerechtfertigt. Ein Asylantrag wäre daher, selbst wenn man das Vorbringen der Antragsteller als wahr unterstellt, ebenso ohne Erfolgsaussicht wie ein auf § 53 Abs. 1 AuslG gestütztes Gesuch um Abschiebungsschutz. Dies kann aber nicht bedeuten, dass es dem Antragsteller zu 1) verwehrt wäre, das Abschiebungshindernis „Krankheit”, auch wenn diese auf politische Verfolgung zurückzuführen sein sollte, entweder nach § 53 Abs. 6 AuslG oder aber nach § 55 AuslG geltend zu machen. Schließlich hält der Senat an der erwähnten Entscheidung vom 17. August 1994 aber auch nicht mehr fest. § 53 AuslG erfasst nämlich auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, die zugleich politische Verfolgung darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.3.2000, BVerwGE Bd. 111 S. 77, 82 f.; BVerfG, Beschl. v. 21.6.2000, NVwZ 2000 S. 907, 909). Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Abschiebungsverbot des § 53 Abs. 1 AuslG auch Ausländer schützt, die an sich gemäß § 51 Abs. 3 AuslG trotz festgestellter politischer Verfolgung abgeschoben werden dürfen. Entsprechendes gilt für § 53 Abs. 2 AuslG. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK betrifft sogar gerade und nur die Fälle, in denen die unmenschliche Behandlung – die häufig politische Verfolgung darstellen wird – vom Staat ausgeht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 331, 335). Im Unterschied zum Asylrecht fragt schließlich auch § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 324, 330).
2) Soweit die Beschwerde geltend macht, eine Abschiebung des Antragstellers zu 1) sei unbedenklich, weil seine – unterstellte – posttraumatische Belastungsstörung in seinem Heimatland behandelt werden könne, genügen die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 9. Dezember 2002 (S. 5 f.) dem Begründungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es kann daher offen bleiben, ob in diesem besonderen Fall auch die am Schluss des genannten Schriftsatzes erfolgte Bezugnahme auf den im Verfahren 3 Bs 305/02 eingereichten Schriftsatz vom 4. September 2002 den Anforderungen genügt hätte.
3) Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dabei unterstellt das Beschwerdegericht ebenso wie die Antragsgegnerin in dem Schriftsatz vom 4. September 2002, dass der Antragsteller zu 1) an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und dass er suizidgefährdet ist. In beiderlei Hinsicht bestehen nicht unerhebliche Zweifel.
Krankheit schützt einen Ausländer nur in Ausnahmefällen vor Abschiebung. Ein Abschiebungshindernis kann sich bei drohenden Beeinträchtigungen der Gesundheit insbesondere aus § 53 Abs...