Leitsatz
Geschiedene Eltern hatten drei in den Jahren 1996, 1998 und 2001 geborene gemeinsame Kinder, die bei ihrer Mutter lebten. Ihr wurde durch Beschluss eines deutschen Familiengerichts im Oktober 2003 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei Kinder übertragen. Die elterliche Sorge im Übrigen übten die Eltern gemeinsam aus.
Der Vater hatte ein Umgangsrecht mit den drei Kindern am Wochenende alle 14 Tage und jeweils in der ersten Hälfte der Schulferien.
Ohne vorherige Unterrichtung des Vaters übersiedelte die Mutter, die wieder verheiratet war, mit den drei Kindern und ihrem Ehemann im Oktober 2006 nach England. Dem Vater gelang es erst über ein Strafverfahren, die Anschrift der Mutter zu erfahren. Nach Kenntnis der Anschrift leitete er am 10.1.2007 bei dem Bundesamt für Justiz, Zentrale Behörde, einen Antrag nach dem Haager Kindesentführungsabkommen zur Rückführung der Kinder ein. Der High Court of Justice hat dem Vater in diesem Verfahren aufgegeben, eine Widerrechtlichkeitsbescheinigung nach § 15 HKiEntÜ beizubringen.
Das FamG hat durch Beschluss vom 26.6.2007 die Widerrechtlichkeit des Verbringens der Kinder nach Großbritannien festgestellt. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Mutter.
Das Rechtsmittel war erfolgreich.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG hielt die Beschwerde der Mutter für zulässig und begründet. Die Verbringung der Kinder nach Großbritannien sei nicht widerrechtlich i.S.v. Art. 3 Abs. 1 des HKiEntÜ vom 25.10.1980 gewesen.
Der Mutter sei nach Trennung und Scheidung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei Kinder allein übertragen worden. Diese Recht betreffe die Bestimmung des Wohnortes und der Wohnung der Kinder. Diese dürfe die Mutter frei und ohne vorherige Einigung mit dem Vater festlegen. Ein Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind habe, dürfe ohne Zustimmung des anderen Elternteils mit dem Kind den Wohnsitz von Süddeutschland nach Norddeutschland verlegen, obwohl der neue Wohnort mehrere 100 Kilometer entfernt von dem früheren Wohnort liege und der Wohnortwechsel einschneidende Folgen für den regelmäßigen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil habe. Genau so wie ein Umzug von Süd- nach Norddeutschland sei der Mutter ein Umzug von Deutschland nach England mit den Kindern gestattet. Diese Entscheidung sei von ihrem Aufenthaltsbestimmungsrecht umfasst, selbst wenn dem Vater der neue Aufenthaltsort der Kinder nicht mitgeteilt werde. Die Kindesmutter habe hierfür nicht zunächst eine familiengerichtliche Genehmigung oder das Einverständnis des Vaters einholen müssen.
Zwar übe der Vater Teilbereiche der elterlichen Sorge noch zusammen mit der Mutter aus. Die Möglichkeit, diese Rechte weiterhin gemeinsam mit ihr auszuüben, sei nicht wesentlich geschmälert. Soweit mittelbar der persönliche Umgang des Vaters mit den Kindern erschwert werde, könne hierauf eine Rückführung der Kinder nicht gestützt werden. Durch Art. 9 der VO (EG) Nr. 2201/03 (Brüssel IIa) sei im Übrigen sichergestellt, dass die Zuständigkeit für die Änderung einer Entscheidung über den persönlichen Umgang mit dem Kind bei dem Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes noch für drei Monate erhalten bleibe.
Zwar habe der Vater für etwa zwei Monate nicht an der Sorge für die Kinder teilhaben können, da er ihre neue Anschrift nicht sogleich erfahren habe. Dieser Umstand sei jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Maßgeblich war nach Auffassung des OLG die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung, wenn in diesem Zeitpunkt Rechte der Kinder oder des anderen Elternteils nicht mehr verletzt gewesen seien.
Hinweis
Das OLG Koblenz führt in der Begründung seiner Entscheidung aus, es unterliege keinem Zweifel, dass die Mutter als Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die drei gemeinsamen Kinder ohne Zustimmung des Vaters innerhalb von Deutschland ihren Wohnsitz beliebig hätte wechseln können.
Die Rechtsprechung der OLG hierzu ist uneinheitlich. Wenn mit einem Umzug eine Umschulung verbunden ist, hält das OLG Dresden hierfür die Zustimmung des anderen Elternteils für erforderlich (OLG Dresden v. 15.10.2002 - 10 UF 433/02, OLGReport Dresden 2002, 536 = FamRZ 2003, 1489, 1499 = FamRB 2003, 116; ebenso OLG München v. 13.7.1998 - 12 WF 966/98, OLGReport München 1998, 287 = FamRZ, 1999, 111).
In dem Fall, den das OLG Koblenz zu entscheiden hatte, waren die Kinder zum Zeitpunkt des Umzuges nach Großbritannien 5, 8 und 9 Jahre alt. Die beiden älteren Kinder waren somit schulpflichtig.
Im Hinblick darauf ist der Inhalt der Entscheidung des OLG Koblenz und die dort vertretene Auffassung zumindest zweifelhaft, ebenso das Abstellen auf die Widerrechtlichkeit der Entführung im Zeitpunkt der Entscheidung und nicht auf den Zeitpunkt der Verbringung der Kinder ins Ausland (OLG Celle v. 24.5.2007 - 17 UF 72/07, OLGReport Celle 2007, 590 = FamRZ 2007, 1587 = FamRBint 2007, 85 f. m.w.N.).
Link zur Entscheidung
OLG Koblenz, Beschluss vom 09.08.2007, 9 UF 450/07