Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutz eines Nachbarn gegen gaststättenrechtliche Gestattung und Sperrzeitregelung für eine traditionelle Festveranstaltung - Störung der Wohnruhe und Zumutbarkeitsgrenze. Festveranstaltung. Festzelt. Gaststättenerlaubnis. Lai-Hinweise. Lärm. Zumutbarkeit. Kirmes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einem betroffenen Nachbarn kann gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG ein Anspruch auf Versagung bzw. Aufhebung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis bzw. Gestattung zustehen, wenn der beabsichtigte Gaststättenbetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage oder auf die Verwendung der Räume nicht ohne Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erlaubt werden kann, es insbesondere nicht möglich ist, die auf die Nachbarschaft etwa durch Lärmimmissionen einwirkenden schädlichen Umwelteinwirkungen durch Nebenbestimmungen auf ein zumutbares Maß zu begrenzen, ohne dadurch gleichzeitig die Ausübung des Gaststättengewerbes in seiner konkret beantragten Betriebsart durch Beseitigung eines prägenden Merkmals (wirtschaftlich) unmöglich zu machen.

2. Die Richtwerte der sogenannten LAI-Hinweise sind bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze nicht schematisch, sondern lediglich als Entscheidungshilfe im Rahmen einer wertenden Abwägung des Betreiberinteresses und gegebenenfalls des Allgemeininteresses an der Durchführung gemeinschaftsfördernder sozialer und/oder kultureller Veranstaltungen gegenüber dem nachbarschaftlichen Interesse an ruhigen Wohnverhältnissen insbesondere in Zeiten der Nachtruhe anzuwenden; dabei sind u. a. zu berücksichtigen: Traditionscharakter und herkömmlicher Ablauf, Dauer, Häufigkeit, zeitliche Abstände, Jahreszeit der fraglichen Veranstaltung(en) und konkretes Schutzbedürfnis des Anwohners.

3. Bei zu erwartenden und unter Wahrung des Charakters einer traditionellen Festveranstaltung nicht zu verhindernden erheblichen Überschreitungen der nächtlichen Lärmgrenzwerte kann deren Zumutbarkeit gegebenenfalls durch zeitliche Begrenzungen gewahrt werden.

 

Normenkette

GastG § 4 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

VG Gießen (Entscheidung vom 10.09.1996; Aktenzeichen 8 G 1221/96 (1))

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller wehrt sich gegen Lärmbeeinträchtigungen durch die Stadtallendorfer Altstadtkirmes. Er ist Eigentümer und mit seiner Familie Bewohner des Grundstücks Kirchhainer Weg 23 in der dortigen Altstadt, das in einem Bereich mit überwiegender Wohnbebauung, einem landwirtschaftlichen Anwesen und einer Schule liegt.

Vor einigen Jahren erwarb die Antragsgegnerin das westlich unmittelbar an das Grundstück des Antragstellers angrenzende und vormals landwirtschaftlich genutzte Anwesen Kirchhainer Weg 25, ließ alle aufstehenden Gebäude bis auf das jetzt als Gemeinschaftshaus genutzte Wohngebäude abreißen, vorhandene Pflaster aufnehmen, die große Wiesenfläche und den Bewuchs entfernen und die entstandene Freifläche schottern. Diese sollte nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 7. Juli 1994 zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 63 „Dorfplatz” als Dorf- bzw. Festplatz genutzt werden.

Bereits seit 1993 läßt die Antragsgegnerin jährlich im Oktober dort durch die Beigeladene die Altstadtkirmes veranstalten. Etwa seit der Jahrhundertwende war die Kirmes stets am zweiten Sonntag nach dem 29. September, dem Fest des heiligen Michael, auf einem Platz in der Dorfmitte und in den Tanzsälen und den bis zur Mitte der 60er Jahre noch fünf Gaststätten des alten Dorfes der Kernstadt gefeiert worden, in der heute nur noch die Gaststätte der Beigeladenen existiert. Diese führte die Festveranstaltung zunächst noch auf dem Gelände ihrer Gaststätte durch und dann ab 1993 in einem unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Grundstück des Antragstellers und etwa 40 m von seinem Wohnhaus entfernt aufgestellten Festzelt auf dem hier fraglichen Dorfplatz, auf dem jeweils außer dem Festzelt auch zwei Karussells und Buden aufgestellt werden.

Im August 1995 beantragte der Antragsteller erstmals beim Verwaltungsgericht Gießen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel, die Altstadtkirmes auf dem Dorfplatz ganz zu verhindern oder jedenfalls auf ein erträgliches Maß zu beschränken, weil ein Festplatz in dem allgemeinen Wohngebiet schon planungsrechtlich nicht zulässig und dafür auch keine Baugenehmigung erteilt worden sei und weil die Altstadtkirmes aufgrund der unzumutbaren Lärmbelastungen gegen die Hessische Lärmschutzverordnung und das Bundes-Immissionsschutzgesetz verstoße. Mit Beschluss vom 27. September 1995 – 8 G 1275/95 (1) – setzte das Verwaltungsgericht Gießen im Wege der einstweiligen Anordnung für Musikveranstaltungen bei der Altstadtkirmes in Anwendung der sogenannten LAI-Hinweise Lärmgrenzwerte für seltene Störereignisse von tagsüber 70 dB (A) und nachts ab 22.00 Uhr von 55 dB (A) fest und lehnte den Antrag im übrigen ab. Im Rahmen des dagegen von beiden Parteien eingeleiteten Beschwerdeverfahrens schlug der erkennende Senat mit Beschluss vom 5. Oktober 1995 – 14 TG 3325/95 – eine von beiden Parteien angenommene ...

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