Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziationsaufenthaltsrecht trotz Getrenntlebens. Anschrift. Assoziationsaufenthaltsrecht. Ehegattenaufenthalt. Erschleichen. Getrenntleben. Lebensgemeinschaft. Passzwang. Schriftsatznachlass. Täuschung. Ausländerrechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die zum 1. November 1997 und zum 1. Juni 2000 in Kraft getretenen Änderungen des § 19 AuslG über das eigenständige Aufenthaltsrecht des Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft entfalten keine Rückwirkung auf schon vor dem jeweiligen Zeitpunkt getrennt lebend Eheleute.

2. Ein türkischer Arbeitnehmer kann ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht auf der Grundlage einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis dann nicht erwerben, wenn er diese durch Vorspiegelung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erschlichen hat; auf das Vorliegen einer umgangssprachlich so bezeichneten „Scheinehe” kommt es nicht an.

3. Einem türkischen Arbeitnehmer steht nach vierjähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthalts- und der Arbeitsgenehmigung auch dann zu, wenn er innerhalb der ersten drei Jahre den Arbeitgeber gewechselt hat.

4. Die Ausländerbehörde ist zur rückwirkenden Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet, wenn dem Ausländer bei Ablauf der zuvor erteilten Erlaubnis ein assoziationsrechtliches Verlängerungsrecht zustand.

5. Die Ausländerbehörde kann sich auf die Passlosigkeit eines Ausländers nicht berufen, wenn sie den Nationalpass in Verwahrung genommen und nicht herausgegeben hat und die Gültigkeit infolge dessen abgelaufen ist.

6. Dem Vertreter einer deutschen Großstadt mit Befähigung zum Richteramt braucht für die Stellungnahme zu einer in der mündlichen Verhandlung erfolgten Vernehmung des Klägers über die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft kein Schriftsatznachlass gewährt zu werden.

 

Normenkette

Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 Art. 6; AuslG § 13 Abs. 1, § 17 Abs. 1, §§ 19, 23 Abs. 1, §§ 4, 58 Abs. 1, § 69 Abs. 3, § 8 Abs. 1; BGB §§ 1310, 1314, 1353 DV; AuslG § 9 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 67 Abs. 1, § 82 Abs. 1

 

Verfahrensgang

VG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.01.2002; Aktenzeichen 13 E 2481/00(V))

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2002 und Aufhebung des Bescheids der Ausländerbehörde der Beklagten vom 18. Dezember 1998 und der Änderungsverfügung vom 15. Januar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 28. März 2000 verpflichtet, ihm mit Wirkung vom 5. April 1996 an eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahren zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abzuwenden, wenn der Kläger nicht seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1955 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Nachdem sein nach der Einreise im September 1989 gestellter Asylantrag abgelehnt worden war, schloss er am 30. Januar 1992 die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K. S. und nahm die Asylklage zurück. Daraufhin erteilte ihm die Ausländerbehörde der Beklagten auf Anträge vom 6. März 1992, 27. Dezember 1992 und 3. März 1993 nach zwischenzeitlicher Duldung und kurzfristiger Ausreise am 5. April 1993 eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger besaß schon während des Asylverfahrens eine (beschränkte) Arbeitserlaubnis, die fortgalt, bis ihm am 2. Juni 1993 eine unbeschränkte und unbefristete Arbeitserlaubnis erteilt wurde. Aufgrund von Ermittlungen stellte die Beklagte erhebliche Zweifel an der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft fest. Nach einer polizeilichen Abmeldung des Klägers am 21. Februar 1994 rückwirkend zum 15. Mai 1992 versicherte die Ehefrau des Klägers unter dem 20. Februar 1995 an Eides statt, sie hätten sich nicht vorübergehend getrennt und verfolgten auch keine Trennungsabsichten. Sie könne sich nicht erklären, warum ihr Mann abgemeldet worden sei. Sie habe ihn jedenfalls nicht abgemeldet. Der Kläger arbeite öfter auf Montage im Bundesgebiet. Sie sei Hausfrau. Am 27. Februar 1996 gab sie dagegen gegenüber der Ausländerbehörde unter anderem an, den Kläger nur zum Schein gegen Zahlung von 3.000 DM geheiratet zu haben. Diese Angaben wiederholte sie bei ihrer Vernehmung vor dem Ordnungsamt am 27. September 1996 mit der Maßgabe, dass sie einen Betrag von 10.000 DM erhalten habe, und bestätigte dies durch ihre Unterschrift.

Mit dem Verlängerungsantrag vom 4. März 1996 gab der Kläger Namen und Geburtsdatum seiner Ehefrau sowie den Tag der Eheschließung an. In einem Bearbeitungsbogen ist unter dem 4. März 1996 vermerkt: „lebt seit 28.02.1996 von Ehefrau getrennt!”.

Nach Anhörung hat die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid ...

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