Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Steuerbescheides bei fehlendem Bekanntgabewille aufgrund eines Fehlgriffs bei der Dateneingabe
Leitsatz (redaktionell)
- Ein Schriftstück, das eine Steuerfestsetzung ausweist, ist nur dann als wirksamer Steuerbescheid anzusehen, wenn es auf einer mit Bekanntgabewillen getroffenen Entscheidung beruht.
- Vertrauensschutzgesichtspunkte spielen nur insoweit eine Rolle, wie der Adressat mit Rücksicht auf die Wirksamkeit des Scheinverwaltungsaktes Vermögensdispositionen getroffen hat, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
- War die abschließende Zeichnung eines Falles durch den Sachgebietsleiter nicht beabsichtigt, erfolgte aber gleichwohl durch ein versehentliches Anklicken des falschen Falles die Generierung eines Steuerbescheides, der programmtechnisch zur Aufgabe zur Post gelangte, liegt keine wirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheides vor.
Normenkette
AO § 124 Abs. 1
Streitjahr(e)
2013
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Schriftstück, das die Änderung einer Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen ausweist, auf einer mit Bekanntgabewillen getroffenen Entscheidung beruht und ob insoweit ein wirksamer Steuerbescheid vorliegt. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Kläger wurden für das Streitjahr 2001 vom Beklagten (Finanzamt) als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Während dieser Zeit erzielten der Kläger als Beamter Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn 71.642,00 €) und die Klägerin als Übersetzerin Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit (Gewinn 4.376,00 €). In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie als außergewöhnliche Belastungen u.a. Aufwendungen in Höhe von 8.235,33 € mit der Begründung geltend, es handele sich hierbei um selbst getragene Krankheitskosten (angefallen aufgrund von Stoffwechselerkrankungen bei der Klägerin und bei der Tochter M). Das Finanzamt sah von diesem Betrag nur einen Teil von 2.569,74 € als im Grundsatz abzugsfähig an. Dementsprechend setzte es durch Bescheid vom 15.11.2012 die Einkommensteuer mit 10.128,00 € fest. Bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen berücksichtigte es einen Überbelastungsbetrag von 0,00 € (außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.570,00 € abzüglich zumutbare Belastung in Höhe von 2.926,00 €). In den Erläuterungen zur Festsetzung führte es sinngemäß aus:
Die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen beträfen Nahrungsergänzungsmittel. Als solche könnten sie nicht anerkannt werden, weil nicht nachgewiesen sei, dass sie zwangsläufig angefallen seien. Es handele sich hierbei um Kosten und Mittel, die dafür geeignet seien, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Dies sei auch schon von der zuständigen Beihilfestelle näher dargelegt worden.
Am 06.12.2012 erklärte die Klägerin zur Niederschrift, dass sie und ihr Ehemann
Einspruch gegen den vorgenannten Bescheid erheben. Sie machte geltend, die für Nahrungsergänzungsmittel, Vitaminpräparate usw. angefallenen Aufwendungen seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Dabei erhielt sie von der zuständigen Sachbearbeiterin (Frau A) den Hinweis, dass eine Anerkennung der streitigen Aufwendungen nur möglich sei, wenn eine Bescheinigung des behandelnden Arztes bzw. Heilpraktikers vorgelegt werde und wenn aus dieser Bescheinigung hervorgehe, dass die Vitaminpräparate und die Nahrungsergänzungsmittel ausschließlich der Linderung der hier aufgetretenen Stoffwechselerkrankungen dienten.
Unter dem Datum vom 18.12.2012 stellte die Heilpraktikerin B den Klägern eine Bescheinigung aus, die u.a. folgenden Inhalt hat: „Die von mir 2012 verordneten medizinischen Heilmittel, wie Vitamine und Mineralien, waren medizinisch notwendig und dienten ausschließlich der Linderung der durch Vitaminmängel stoffwechselbedingten Krankheitsbeschwerden von Frau C (Klägerin) und Frau M (Tochter).” Die Kläger legten diese Bescheinigung mit Schreiben vom 03.01.2013 dem Finanzamt vor und fügten dem mehrere Aufstellungen mit der Bezeichnung „selbst getragene Krankheitskosten” bei.
Die Sachbearbeiterin erstellte am 14.02.2013 eine Probeberechnung, in der die festzusetzende Einkommensteuer mit einem Betrag von 6.858,00 € ausgewiesen wurde und die Besteuerungsgrundlagen in der Weise ermittelt wurden, dass bei den außergewöhnlichen Belastungen ein Betrag von 11.466,00 € zum Ansatz kam. In dem für die Akten gefertigten Ausdruck machte sie kenntlich, dass die Probeberechnung von ihr
selbst (Kennzeichnung „SB”) und von dem zuständigen Sachgebietsleiter (Kennzeichnung „SGL”) abgezeichnet werden sollte. Dabei versah sie die Kennzeichnung „SB” mit ihrem Handzeichen und dem Datum vom 14.02.2013. Die Kennzeichnung „SGL” blieb ohne entsprechendes Handzeichen.
Am 04.03.2013 fertigte die Sachbearbeiterin sodann folgenden Vermerk: „Frau C rief am 04.03.2013 bei mir an, um sich nach dem derzeitigen Bearbeitungsstand des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbeschei...