Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrung der Festsetzungsfrist bei Erlass eines Steuerbescheides durch die örtlich unzuständige Behörde
Leitsatz (redaktionell)
- Die Wahrung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO setzt voraus, daß der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlassen hat und die Finanzbehörde alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben sind.
- Die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ist auch dann gewahrt, wenn der Steuerbescheid von einer nicht mehr für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde erlassen worden ist.
- Bloße formelle Fehler, die lediglich zur Anfechtbarkeit des Bescheides führen, wie z.B. die Verletzung des Zeichnungsrechts durch den Sachbearbeiter oder der Erlaß des Bescheides durch die örtlich unzuständige Behörde, sind für die Wahrung der Festsetzungsfrist unschädlich.
Normenkette
AO §§ 126-127, 367 Abs. 1, §§ 26, 169 Abs. 2 J: 1977
Streitjahr(e)
1990
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist neben den verfahrensrechtlichen Folgen eines Zuständigkeitswechsels insbesondere streitig, ob der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr am 29.12.1995 zur Post aufgegeben wurde und dadurch die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) gewahrt worden ist.
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und beziehen neben anderen Einkünften insbesondere Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Rahmen ihrer mitunternehmerischen Tätigkeit bei der Firma G in M. Mit Schreiben vom 5.12.1986 teilten die Kläger dem Finanzamt H mit, daß sie infolge eines Umzugs nunmehr ab dem 15.12.1986 postalisch unter der neuen Anschrift V, zu erreichen seien. Mit weiterem Schreiben an das Finanzamt H vom 30.12.1986 teilte der Kläger "zur Weitergabe an das für mich in Zukunft zuständige Finanzamt" mit, daß sein Bauvorhaben in V zum 20.12.1986 bezugsfertig geworden sei. Entsprechend gaben die Kläger in der Einkommensteuererklärung 1986 - abgegeben beim Finanzamt H am 3.6.1988 - und in den Folgejahren stets ihre neue Adresse in V an. Alle Steuererklärungen einschließlich die des Streitjahres wurden beim Finanzamt H durch die T GmbH eingereicht, die neben der steuerlichen Beratung der Firma G auch die steuerliche Beratung der Kläger hinsichtlich deren persönlicher Steuererklärung übernommen hatte. Die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1986 bis 1995 wurden ausschließlich vom Finanzamt H erlassen.
Am 29.5.1995 übersandte das Finanzamt B den Klägern einen Fragebogen zur steuerlichen Erfassung. Unter dem Datum vom 31.5.1995 übersandte das Finanzamt B an das Finanzamt H Kontrollmaterial zur Auswertung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Jahre 1990 bis 1992. Auf der Durchschrift dieses in den Akten befindlichen Schreibens ist ein Vermerk des Sachbearbeiters des Finanzamts B angebracht, daß Frau W (= zuständige Sachbearbeiterin für die Einkommensteuersache der Kläger im Finanzamt H) "noch die Veranlagung 90-92 durchführen möchte; dann erfolgt gegebenenfalls Aktenabgabe an uns". Am 24.3.1997 erging seitens des Finanzamts H an das Finanzamt B eine Mitteilung über die Änderung der örtlichen Zuständigkeit infolge Wohnsitzwechsels im Besteuerungsverfahren. Unter dem Datum vom 11.4.1997 bestätigte das Finanzamt B gegenüber dem Finanzamt H die Übernahme der Besteuerung.
Die beim Finanzamt H für das Streitjahr 1990 am 25.9.1991 eingereichte Einkommensteuererklärung der Kläger wurde dort von der zuständigen Sachbearbeiterin mit dem handschriftlichen Rotvermerk "Eilt" am 8.12.1995 zur maschinellen Veranlagung gegeben. Ausweislich der in den Akten befindlichen Hinweismitteilung wurde die Berechnung am 18.12.1995 durchgeführt. Der Prüfhinweis 21/1023 wurde am 21.12.1995 bearbeitet. Der weitere Prüfhinweis 22/1280 - Prüfung, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden soll oder nicht - wurde durch den zuständigen Sachgebietsleiter Z am 27.12.1995 überprüft. Das in den Steuerakten befindliche Duplikat des Steuerbescheids für das Jahr 1990 enthält das Datum 29.12.1995. Die danach zu begleichende Einkommensteuerschuld beträgt xxx,-- DM.
Mit beim Finanzamt H eingegangenem Schreiben vom 12.1.1996 haben die Kläger Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt. Zur Begründung teilten sie mit, daß sie den Bescheid am 3.1.1996 erhalten hätten. Nach dem Datum des Bescheids als auch nach dem Frankierstempel des Finanzamts ergebe sich als Absendedatum der 29.12.1995. Es sei jedoch unwahrscheinlich, daß der Brief schon am Freitag, dem 29.12.1995, zur Post gegeben worden sei. Es spreche vielmehr alles dafür, daß dieser Brief erst am 2.1.1996 das Finanzamt verlassen habe. Die Kläger baten um Aufklärung bzw. um Nachweis, daß der Brief tatsächlich am Freitag, dem 29.12.1995, zur Post gegeben worden sei. Während des weiteren Einspruchsverfahrens haben die Kläger unter Darlegung ihrer Recherchen beim Hauptpostamt M vor...